HIV-Infektion als Unfall?

Mit Urteil 8C_348/2023 vom 3. Mai 2024 hat sich das Bundesgericht mit dem Unfallbegriff befasst: Konkret setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob eine HIV-Infektion als Unfall zu qualifizieren ist.

Als Unfall (der die Leistungspflicht der Unfallversicherung auslöst) gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Fehlt es an einem dieser Elemente, kann geprüft werden, ob die Gesundheitsbeeinträchtigung als Krankheit (Art. 3 Abs. 1 ATSG) zu qualifizieren ist (Kostentragung durch Krankenversicherung).

Hauptstreitpunkt war die Frage, ob das Merkmal der “Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors” zu bejahen ist (E. 4).

Nach der Rechtsprechung ist ein äusserer Faktor ungewöhnlich, wenn er nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (E. 4.1.1. m.V.a. BGE 134 V 72). Die Ungewöhnlichkeit bezieht sich nicht auf die Wirkung/die Folgen eines Faktors, sondern auf diesen selber.

Ein Gesundheitsschaden, der durch eine Infektion verursacht wird, ist grundsätzlich eine Krankheit (E. 4.1.2 m.V.a. BGE 122 V 230). Eine unfallmässige Verursachung der Infektion setzt nach der Rechtsprechung das Vorhandensein einer Wunde im Zeitpunkt der Infizierung voraus. Ein Unfall wird beispielsweise bejaht beim Biss einer Zecke, der zu einer Borreliose geführt hat (BGE 122 V 230, E. 5a). Wird eine HIV-Infektion durch den Griff in eine kontaminierte Spritze verursacht, wird ebenfalls ein Unfall angenommen (BGE 140 V 356).

Vorliegend war unstreitig, dass die Beschwerdeführerin über zehn Jahre in einer Beziehung mit einem Partner lebte, der ihr seine HIV-Infektion während mehr als drei Jahren verschwieg und ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr hatte, was zu ihrer Ansteckung führte. Der Partner wurde der schweren Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin und der versuchten schweren Körperverletzung zum Nachteil der gemeinsamen Tochter schuldig gesprochen (E. 4.3).

Das Bundesgericht hält fest, die Unfallversicherung sei für eine Infektionskrankheit nur dann leistungspflichtig, wenn die Übertragung des Krankheitserregers durch ein eigentliches Unfallereignis erfolgt sei. Der Irrtum über die HIV-Positivität ihres Partners sei unerheblich (E. 4.4.1). Auch der Umstand, dass der ehemalige Partner strafrechtlich verurteilt wurde, sei für die Frage der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors nicht ausschlaggebend: Straftaten, die mit einer Einwirkung auf den menschlichen Körper verbunden sind, stellen regelmässig Unfallereignisse dar. Entscheidend sei aber nicht die strafrechtliche Relevanz der gesundheitsschädigenden Handlung an sich, sondern dass die die Elemente des Unfallbegriffs erfüllen.

Die Beschwerde wurde somit abgewiesen.

Aus dem Bundesgericht: Irrtum betreffend Überbaubarkeit eines Grundstücks

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_406/2023 vom 5. März 2024 mit der Frage eines Grundlagenirrtums betreffend die Überbaubarkeit eines Grundstücks auseinander gesetzt. Der Streitigkeit lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 5. Juni 2019 verkaufte B der A AG eine Liegenschaft, welche sich teilweise in der “Dorfzone D” und teilweise in der Landwirtschaftszone befand. Am 13. Dezember 2019 reichte die A AG ein Baugesuch für ein Neubauprojekt auf der Parzelle ein. Am 15. Mai 2020 trat im Kanton Thurgau die Kleinsiedlungsverordnung (KSV) in Kraft. Der bislang in der “Dorfzone “” liegende Teil der Parzelle wurde im Anhang 2 der KSV einer Weiler- oder Erhaltungszone gemäss Art. 33 RPV zugwiesen. Die Baubewilligung wurde verweigert resp. nicht erteilt. Das entsprechende Rekursverfahren war im Urteilszeitpunkt hängig.

Die A AG machte sodann gegenüber B einen Grundalgenirrtum über die Überbaubarkeit des Grundstücks geltend.

Ein Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 OR). Ein Irrtum ist namentlich dann wesentlich, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wird (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Neben der subjektiven Wesentlichkeit ist erforderlich, dass dieser Sachverhalt auch objektiv, vom Standpunkt oder nach den Anforderungen des loyalen Geschäftsverkehrs als notwendige Grundlage des Vertrags erscheint (BGE 136 III 528 E. 3.4.1).

Das Bundesgericht bestätigt die Schlussfolgerung der Vorinstanz, wonach der Parzellenteil zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages in der Dorfzone gelegen habe. Ein wesentlicher Grundlagenirrtum könne somit nur über einen künftigen Sachverhalt vorliegen, nämlich über die künftig weiterhin bestehende Überbaubarkeit des betreffenden Parzellenteils.

Der Irrtum gemäss Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR kann sich auf eine künftige Tatsache beziehen, wenn diese Tatsache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses objektiv als sicher angesehen werden konnte (BGE 118 II 297, E. 2b). Vorausgesetzt wird zum, dass die Gegenpartei nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit des Eintritts des zukünftigen Ereignisses für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war (BGE 118 II 297, E. 2b).

Die Vorinstanz erwog, der betreffende Parzellenteil sei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (Juni 2019) noch überbaubar gewesen und hätte bei Erhalt einer Baubewilligung bis längstens Mai 2020 noch überbaut werden können. Die Käuferin habe jedoch nicht mit Sicherheit annehmen dürfen, sie würde noch auf Monate oder Jahre hinaus eine Baubewilligung erhalten. Dem Kauf habe ein spekulatives Moment betreffend die Überbaubarkeit innegewohnt.

Das Bundesgericht bestätigt das vorinstanzliche Urteil und weist die Beschwerde der A AG ab, soweit es darauf eintritt.

Für die Praxis bedeutet diese Rechtsprechung, dass bei Grundstückkaufgeschäften mit geplanten Neubauprojekten zwingend frühzeitig – vor Abschluss des Kaufvertrages – die Realisierbarkeit (insb. Bewilligungsfähigkeit) des Projekts zu klären ist.

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Stockwerkeigentum: Nachbesserungsanspruch eines Stockwerkeigentümers aus Werkkaufvertrag

Das Bundesgericht hat sich im Urteil 4A_540/2022 vom 19. Dezember 2023 mit den Folgen einer einseitigen Änderung eines Bauprojekts durch die Unternehmerinnen – bzw. der einseitigen Einreichung eines neuen Baugesuchs – nach der Begründung von Stockwerkeigentum auseinandergesetzt. Es befasste sich namentlich mit der Frage, ob die Eigentumsrechte einzelner Stockwerkeigentümer verletzt worden sind. Dem Urteil unterlag folgender Sachverhalt:

Die Verkäuferinnen (Beschwerdegegnerinnen) planten und erstellten in den Jahren 2013-2015 eine Terrassenüberbauung, hinsichtlich welcher in der Projektphase Stockwerkeigentum begründet wurde. Sie verkauften die einzelnen Einheiten teilweise bereits während der Projektphase. Der Beschwerdegegner kaufte in diesem Rahmen zwei Stockwerkeigentumseinheiten bzw. Anteile davon mittels Grundstückkaufvertrag mit Bauleistungspflicht. Ohne den Beschwerdeführer in Kenntnis zu setzen, reichten die Verkäuferinnen (selbst auch Miteigentümerinnen) parallel dazu neue Baugesuche ein, welche genehmigt und umgesetzt wurden. Gemäss Beschwerdeführer stellen diese, den gemeinsamen Boden betreffenden, Änderungen Verletzungen der Eigentumsrechte der übrigen Stockwerkeigentümer dar. Er fordert die Herstellung der baulichen Situation gemäss Begründung von Stockwerkeigentum mit Aufteilungsplänen und den dazugehörigen im Grundbuch angemerkten Reglementen, so weit nicht der Innenausbau betroffen war. Die Vorinstanz wies seine Berufung insbesondere ab, weil der Beschwerdeführer ausschliesslich seinen werkvertraglichen Nachbesserungsanspruch und keine anderen Gewährleistungsrechte oder Schadenersatzansprüche oder allfällige sachenrechtliche Ansprüche geltend machte. Eine an sich mögliche Nachbesserung sei ohne Zustimmung der übrigen Stockwerkeigentümer nicht möglich.

Gemäss Beschwerdeführer ist für die Erstellung der Baute gemäss Begründungserklärung und Aufteilungsplänen kein Beschluss der Stockwerkeigentümer nötig. Das Bundesgericht führt hierzu aus, dass bei gemischten Verträgen mit kauf- und werkrechtlichen Elementen die werkvertraglichen Regeln über die Mängelhaftung nach Art. 368 ff. OR anzuwenden sind, sofern keine abweichenden Parteivereinbarungen vorliegen. Die von den Parteien für anwendbar erklärten SIA-Normen würden unter Umständen eine privilegierte Stellung zur Nachbesserung vorsehen. Der werkvertragliche Nachbesserungsanspruch des Beschwerdeführers richte sich gegen die Verkäuferinnen als Unternehmerinnen. Ein Unternehmen, das vertraglich die Erstellung einer Stockwerkeinheit übernimmt, sei gegenüber dem Besteller zur Ablieferung mängelfreier Werke verpflichtet. Dies betreffe auch Bauteile, die anderen Miteigentümern ebenfalls zur Nutzung zustehen. Dabei könne jeder einzelne Stockwerkeigentümer seine vertraglichen Nachbesserungsansprüche ungeteilt ausüben, falls diese gemeinsame Bauteile eines in Stockwerkeigentum aufgeteilten Werkes betreffen. Da die Verträge des Unternehmens mit den Stockwerkeigentümern in casu jedoch inhaltlich ungleich sind, ist gemäss Bundesgericht eine Koordination zwischen der Durchsetzung des werkvertraglichen Nachbesserungsanspruchs der einzelnen Erwerber und den Regeln über die Beschlussfassung der Stockwerkeigentümerschaft erforderlich. Vorliegend hatten die Beschwerdegegnerinnen die umstrittenen Projektänderungen nämlich nicht allen Miteigentümern vorgelegt. Somit haben einzelne Stockwerkeigentumseinheiten die betreffenden Abänderungen akzeptiert und die vertraglichen Erfüllungsansprüche der einzelnen Stockwerkeigentümer weichen voneinander ab. Das Bundesgericht spricht der Koordination vorliegend jedoch ihre Bedeutung ab, weil der Beschwerdeführer nicht in genügender Weise widerlegt habe, dass die übrigen Stockwerkeigentümer seinen Forderungen nie zustimmen würden. Vor diesem Hintergrund bestehe vorliegend somit einzig die Möglichkeit, den Rückbau gegen den Willen der anderen Stockwerkeigentümer durchzusetzen.

Der Beschwerdeführer vertrat weiter die Ansicht, dass sich seine dinglichen Abwehrrechte, welche durch die unberechtigte Beeinträchtigung der gemeinschaftlichen Teile entstehen, mit seinen vertraglichen Nachbesserungsansprüchen decken. Das Bundesgericht verneint dies und erwägt insbesondere, dass die Interessen aller Stockwerkeigentümer zu berücksichtigen seien. Diese müssten mit dem Rückbau einverstanden oder davon offensichtlich nicht betroffen sein. Ferner handle es sich vorliegend – entgegen der Meinung des Beschwerdeführers – nicht um eine notwendige Verwaltungshandlung, ohne welche die Stockwerkseinheit unverkäuflich sei: Weder der Rückbau noch die Anpassung der Quoten an die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse würden einen Kauf verunmöglichen.

Das Bundesgericht lässt schliesslich die Frage offen, inwiefern dem Verhältnis zu den übrigen Miteigentümern hinsichtlich der werkvertraglichen Fragen Bedeutung zukommt. Entscheidend sei, dass der Beschwerdeführer sein Anliegen unter Umgehung der übrigen Miteigentümer geklärt haben möchte und eine Erfüllung ohne vorherige Klärung der sachenrechtlichen Situation mit den betroffenen Stockwerkeigentümern anstrebt. Einem solchen Ansinnen sei nicht zu entsprechen.

Das oberste Gericht schliesst damit, dass der Rückbau den Beschwerdegegnerinnen nicht zuzumuten ist, solange nicht feststeht, in welchem Umfang der Beschwerdeführer den Rückbau mit Blick auf die anderen Stockwerkeigentümer tatsächlich verlangen kann. Die Beschwerdegegnerinnen müssten wissen, wem sie Realerfüllung und gegenüber wem sie Schadenersatz zu leisten haben. Eine verbindliche Entscheidung sei lediglich möglich, wenn sämtliche Stockwerkeigentümer in die Frage des Rückbaus miteinbezogen werden. Damit wird die Beschwerde abgewiesen.

Personalwohnungen und die Lex Koller

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 2C_325/2022 vom 21. Dezember 2023 erneut mit Personalwohnungen im Zusammenhang mit der Lex Koller befasst.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die A AG bezweckt die Errichtung, den Erwerb, das Halten, die Verwaltung, den Betrieb und die Veräusserung von Hotels und Personalhäusern in der Schweiz. Die Schwestergesellschaft C AG ist Betreiberin eines Hotels in Davos. Sämtliche Aktien der Muttergesellschaft B AG hält ein deutscher Staatsangehöriger. Die B AG (und somit auch ihre Töchter A AG und C AG) ist eine “Person im Ausland” gemäss Lex Koller.

Die A AG beabsichtigt, ein Hotel zu erwerben und dieses der C AG als Personalhaus zur Verfügung zu stellen.

Das Bundesgesetz über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland (Bewilligungsgesetz, BewG, Lex Koller) regelt die Frage, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen sog. Personen im Ausland Grundstücke in der Schweiz oder Beteiligungen an Gesellschaften, deren Zweck der Erwerb von Grundstücken ist, erwerben können. Gemäss Art. 2 Abs. 2 Bst. a BewG bedarf der Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland keiner Bewilligung, wenn das Grundstück als ständige Betriebsstätte eines Handels-, Fabrikations- oder eines anderen nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes, eines Handwerksbetriebes oder eines freien Berufes dient. Ein “klassisches” Hotel stellt eine solche Betriebsstätte dar.

Gemäss geltendem Recht werden Personalwohnungen nicht von der Hotelbetriebsstätte-Ausnahme erfasst (so auch das Bundesgericht in BGE 147 II 281). Das Bundesgericht ankerkennt zwar, dass “das Hotelpersonal grundsätzlich auf die Zuverfügungsstellung von Personalwohnungen angewiesen ist und auf dem betroffenen, lokalen Mietmarkt schwer Wohnraum zu finden ist”, kommt jedoch zum Schluss, dass mangels Rechtsgrundlage ein bewilligungsfreier Erwerb von Personalwohnungen durch eine Person im Ausland nicht zulässig sei (E. 4.7).

Im vorliegenden Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass ein nachträglicher Erwerb von Personalwohnungen nicht als bewilligungsfreier Miterwerb im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BewG, sondern als späterer bewilligungspflichtiger Zuerwerb zu qualifizieren sei.

Offen bleibt die Frage, weshalb das Verfahren nicht sistiert worden ist, da das Parlament am 25. September 2023 (Amtliches Bulletin) mit der Annahme der Motion 22.4413 Schmid den Bundesrat beauftragt hat, eine Gesetzes- resp. Verordnungsanpassung vorzunehmen (vgl. Beitrag vom 4. Oktober 2023).

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Unentgeltliche Rechtspflege – Nachzahlungspflicht

Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie (Art. 117 ZPO):
1. nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, und
2. ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.

Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst (Art. 118 Abs. 1 ZPO):
1. die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen;
2. die Befreiung von den Gerichtskosten;
3. die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin oder eines Rechtsbeistandes, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist.
Sie befreit jedoch nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei (Art. 118 Abs. 3 ZPO).

Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist zur Nachzahlung verpflichtet, falls sie innert 10 Jahren nach Abschluss des Verfahrens dazu in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 2C_316/2023 vom 3. Juli 2023 mit einem solchen Nachzahlungsanspruch auseinander gesetzt. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit Entscheid vom 9. Dezember 2013 auferlegte das Kantonsgericht Schwyz A die Gerichtskosten zu 2/3 mit CHF 533, sprach seinem unentgeltlichen Rechtsvertreter eine Entschädigung von CHF 500 zu und gewährte ihm die unentgeltliche Rechtspflege. Mit Mahnungen vom 22. März 2021 und vom 6. April 2021 setzte die Kantonsgerichtskasse A eine Frist zur Begleichung des offenen Betrages i.d.H. von CHF 1’033. A erklärte, er sei mittellos. Belege zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen reichte er – trotz entsprechender Aufforderung – nicht ein. A erhob im sodann eingeleiteten Betreibungsverfahren Rechtsvorschlag. Mit Verfügung vom 23. Mai 2023 wurde A durch den Kantonsgerichtspräsidenten zur Nachzahlung verpflichtet und der Rechtsvorschlag wurde beseitigt. Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen.

Die Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege bedeutet nicht, dass die Kosten durch den Staat getragen werden – es besteht vielmehr eine Rückzahlungsverpflichtung (Nachzahlungspflicht), falls die Verhältnisse dies erlauben.

Nachbarrecht: Wer ist Eigentümer:in einer Stützmauer?

Das Bundesgericht hat sich im Urteil 5A_665/2022 vom 4. April 2023 (zur Publikation vorgesehen) mit der Frage der Eigentümerschaft und der Unterhaltspflicht an einer Holzpalisadenwand auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beschwerdeführerin ist seit 2015 Eigentümerin des Grundstückes A. Bereits im Jahr 1988 wurde das tiefer liegende Nachbarsgrundstück B von der verstorbenen X erworben. An ihre Stelle traten ihre Erben als Beschwerdegegner in den Prozess ein.

Zwischen den beiden Grundstücken A und B befindet sich eine Böschung. Zur Sicherung der zwecks Raumgewinnung auf dem höher gelegenen Grundstück A vorgenommenen Aufschüttung wurde eine Holzpalisadenwand erstellt. Im Verlaufe der Jahre verschob sich die entsprechende Wand weiter nach unten auf das Grundstück B. Die Beschwerdeführerin hat sodann an der Holzpalisadenwand provisorisch Schaltafeln angebracht.

Mittels erstinstanzlicher Klage wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, die provisorischen Schaltafeln zu entfernen und das Grundstück B mittels Böschung oder einer neuen Stützmauer entlang der Parzellengrenze zu sichern. Diesen Entscheid focht die Beschwerdeführerin beim Obergericht an, jedoch ohne Erfolg.

Nun gelang sie mittels Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Begehren, die Klage der Eigentümer des Grundstückes B sei abzuweisen.

Stehen Vorrichtungen zur Abgrenzung zweier Grundstücke, wie Mauern, Hecken, Zäune, auf der Grenze, so wird Miteigentum der beiden Nachbarn vermutet (Art. 670 ZGB). Diese Vermutung lässt sich grundsätzlich auf zwei Arten widerlegen: durch Rechtsgeschäft zwischen den Nachbarn (z.B. Bestellung eines Überbaurechts) oder durch Nachweis entgegenstehenden Ortsgebrauchs i.S.v. Art. 5 Abs. 2 ZGB (E. 3.3.2).

Nach Art. 686 Abs. 1 ZGB sind die Kantone befugt, die Abstände festzulegen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind. Ausserdem bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen (Abs. 2). Es handelt sich hierbei um einen echten Rechtsetzungsvorbehalt i.S.v. Art. 5 Abs. 1 ZGB (E. 3.4).

Gemäss Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern gilt eine Stützmauer, welche auf der Grenze steht, als Bestandteil des Grundstücks, dessen Eigentümer sie erstellt hat. Kann dies nicht festgestellt werden, so wird Miteigentum beider Nachbarn angenommen (E. 3.5.1).

Die Holzpalisadenwand wurde unbestrittenermassen vom Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin erstellt. Ob diese seinerzeit an oder auf die Grundstückgrenze gestellt worden ist, spielt mit Bezug auf die Frage, wer Eigentümer:in ist, keine Rolle. Falls die Wand auf die Grenze gebaut worden ist, wurde der Rechtsvorgänger gestützt auf Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern Eigentümer (E. 4.2). Falls die Mauer lediglich an die Grenze gebaut worden ist, liegt sie ohnehin auf dem Grundstück A und somit im Eigentum der Beschwerdeführerin.

Schliesslich befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin betreffend Unterhaltspflicht auf Art. 741 Abs. 2 ZGB berufen kann. Das Bundesgericht verneint vorliegend die Anwendbarkeit, da die Bestimmung für Vorrichtungen, die zur Ausübung einer Dienstbarkeit gehören, gilt (E. 5).

Das Bundesgericht erachtete die Beschwerde in Zivilsachen als unzulässig und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden konnte.

Lex Koller: Rückforderungsanspruch nach Art. 26 BewG

Das Bundesgesetz über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland (BewG, Lex Koller) bezweckt, “die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern”. Dem Grundsatze nach müssen Personen im Ausland einen Grundstückerwerb bewilligen lassen (Art. 2 Abs. 1 BewG). Dies setzt voraus, dass ein Bewilligungsgrund (z.B. der Erwerb einer Ferienwohnung) vorliegt. Daneben kennt das Gesetz Ausnahmen, d.h. nicht bewilligungspflichtige Geschäfte, wie beispielsweise der Erwerb einer Betriebsstätte.

Was sind die Rechtsfolgen eines Grundstückerwerbes, welcher ohne die erforderliche Bewilligung erfolgte?

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_378/2022 vom 30. März 2023 mit folgendem Sachverhalt auseinandergesetzt:

Die Parteien schlossen einen “Darlehensvertrag” in der Höhe von CHF 1.8 Mio. zwecks Erwerbes eines Mehrfamilienhauses. Gemäss Vorinstanz war die Beschwerdegegnerin (Darlehensgeberin) im Zeitpunkt der Darlehensgewährung als ausländische Person im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. c BewG (ausländische Beherrschung) zu qualifizieren. Das Darlehen der Beschwerdegegnerin habe den Erwerb eines Mehrfamilienhauses durch die Beschwerdeführerin (Darlehensnehmerin) ermöglicht und komme aus Sicht der Beschwerdegegnerin einem dinglichen Erwerb der Liegenschaft gleich. Folglich sei der Erwerb mittels dieses Darlehens bewilligungspflichtig gewesen.

Das Bundesgericht hält fest, dass Rechtsgeschäfte über einen Grundstückserwerb nichtig werden, wenn der Erwerber das Rechtsgeschäft vollzieht, ohne um die Bewilligung nachzusuchen (Art. 26 Abs. 3 BewG). Die Nichtigkeit hat zur Folge, dass Leistungen innerhalb eines Jahres zurückgefordert werden können, seit der Kläger Kenntnis von seinem Rückforderungsanspruch hat (Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG). Die Rückforderung von Geldleistungen gemäss Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG erfolgt nach den Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung gemäss Art. 62 ff. OR. Vorliegend war der Darlehensvertrag nichtig und von Anfang an (ex tunc) unwirksam. Entsprechend lag bereits mit Auszahlung der Darlehenssumme an die Beschwerdeführerin ein fälliger Rückforderungsanspruch vor.

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Arbeitsrecht: Ferienentschädigung bei Vollzeitanstellung

Das Bundesgericht befasste sich mit Urteil 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 mit der Frage, inwiefern bei einer (Vollzeit-)Beschäftigung einer Arbeitnehmerin eine Ferienentschädigung zu entrichten ist.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde:

Die Arbeitnehmerin (Beschwerdegegnerin) war bei der Arbeitgeberin (Beschwerdeführerin) als Betriebsarbeiterin mit einem 100 %-Pensum im Stundenlohn angestellt. Im Arbeitsvertrag wurde eine Ferienentschädigung von 8.33 % bzw. 10. 64 % vereinbart. Aufgrund der Corona-Pandemie ordnete die Arbeitgeberin Zwangsferien an. In der Folge verlangte die Arbeitnehmerin unter anderem die Bezahlung einer Ferienentschädigung. Die gestellten Forderungen wurden von den Vorinstanzen gutgeheissen. Nun gelangt die Arbeitgeberin mittels Beschwerde an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides in Bezug auf die Ferienentschädigung.

Die Arbeitgeberin rügt eine Verletzung von Art. 329d Abs. 1 OR. Sie wirft der Vorinstanz vor, die Rechtsprechung nicht beachtet zu haben, welche eine Abweichung dieser Gesetzesnorm in gewissen Fällen rechtfertigt. Art. 329d Abs. 1 OR sieht vor, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ferien vergüten sowie angemessen entschädigen muss. Gemäss Rechtsprechung bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer während seinen Ferien lohmässig nicht schlechter gestellt werden darf, wie wenn er gearbeitet hätte (BGE 136 III 283). Ferner ist es nicht zulässig, dass die Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses durch Geld oder andere Vergütungen abgegolten werden.

Dieses Verbot ist allerdings bei unregelmässigen Arbeitsverhältnissen schwierig umzusetzen, weswegen das Bundesgericht eine Abweichung des Gesetzestextes für spezifische Fälle zulässt. Die Voraussetzungen dafür sind: Eine unregelmässige Beschäftigung, eine klare Ausscheidung des für die Ferien bestimmten Lohnanteiles, wenn ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt und die explizite Ausweisung des bestimmten Lohnanteiles in den einzelnen Lohnabrechnungen (BGE 129 III 493). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss der Arbeitgeber den auf die Ferien entfallenden Lohn bezahlen. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer die ihm zustehenden Ferien tatsächlich bezogen hat, ändert daran nichts. 

Die Arbeitgeberin ging vorliegend aufgrund von Schwankungen im Arbeitspensum der Arbeitnehmerin davon aus, es handle sich um eine unregelmässige Tätigkeit. Die Voraussetzung der Unregelmässigkeit wird allerdings vom Bundesgericht sehr eng umschrieben. Der Sinn von Art. 329d Abs. 1 OR ist, den Arbeitnehmer zu schützen und zu gewährleisten, dass er sich in den Ferien auch tatsächlich erholen kann. Aufgrund dieses Schutzgedankens wird eine Abweichung nur in seltenen Fällen angenommen. Das Bundesgericht hält in seinem Urteil ausdrücklich fest, dass bei einer 100 %-Anstellung beim gleichen Arbeitgeber eine Abweichung von Art. 329d Abs. 1 OR nicht gerechtfertigt ist.

Somit wurde die Beschwerde durch das Bundesgericht abgewiesen.

Wer ist Eigentümer:in einer Quelle?

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022 mit dem Eigentum an einer Quelle auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: A, B und C sind Miteigentümer einer Parzelle in der Gemeinde Brig-Glis, auf der eine Quelle entspringt. Auf Klage dieser Miteigentümer stellte die erste Instanz fest, dass sich die genannte Quelle im Privateigentum der Miteigentümer befindet. Auf entsprechende Berufung der Einwohnergemeinde Brig-Glis wurde dieser erstinstanzliche Entscheid aufgehoben und festgehalten, dass es sich bei der Quelle um eine Bachquelle im öffentlichen Eigentum der Gemeinde Brig-Glis handelt. Gegen diesen Entscheid gelangten die Miteigentümer mit Beschwerde ans Bundesgericht.

Quellen sind gestützt auf das Akzessionsprinzip grundsätzlich Bestandteile der Grundstücke, auf welchen sie hervortreten (Art. 667 Abs. 2 ZGB, Art. 704 Abs. 1 ZGB); das Eigentum am Grundstück erstreckt sich daher auch auf die darauf entspringende Quelle. In Abgrenzung dazu besteht an öffentlichen Gewässern unter Vorbehalt anderweitigen Nachweises kein Privateigentum (Art. 664 Abs. 2 ZGB).

Unterschieden werden laut Bundesgericht Privatquellen, auf welche Art. 704 Abs. 1 ZGB Anwendung findet, und öffentliche Bach- oder Flussquellen. Das Bundeszivilrecht nennt die Kriterien nicht, nach denen aufgrund von Art. 664 Abs. 1 ZGB der Hoheit der Kantone unterstellte Gewässer als öffentlich zu betrachten sind. Diese Definition ist Sache der Kantone. Macht der Kanton von dieser Regelungskompetenz Gebrauch, wird die Öffentlichkeit des Gewässers durch einen Akt des Gesetzgebers begründet; das grundsätzlich als Bestandteil des umgebenden Erdbodens im Privateigentum stehende Gewässer wird somit als öffentlich konstituiert.

Der Kanton Wallis hat von der ihm zustehenden Kompetenz Gebrauch gemacht. Gemäss Art. 163 Abs. 3 EG ZGB fallen Wasserläufe ab demjenigen Punkt, wo sie entspringen, in das öffentliche Eigentum der Gemeinden. Ebenfalls in den Bereich des öffentlichen Gemeindeeigentums gehören grundsätzlich die unterirdischen Gewässer mit einer mittleren Wassermenge von mehr als 300 Liter/Minute (Art. 163 Abs. 4 EG ZGB). Anders als bei unterirdischen Gewässern regelt das kantonale Recht nicht, welche Mächtigkeit und/oder Stetigkeit der oberirdische Wasserlauf aufweisen muss, um als öffentliches Gewässer zu gelten. Damit sind im Kanton Wallis grundsätzlich alle Wasserläufe öffentlich.

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Wasseraustritt als Bachquelle zu qualifizieren ist, in erster Linie zu prüfen, ob der Wasserausstoss, unabhängig davon, ob das Wasser an einem oder mehreren Orten austritt, von Anfang an einen Wasserlauf – einen Bach – bildet. Ob das entspringende Wasser von Anfang an einen Wasserlauf bzw. einen Bach bildet, sei daran zu messen, ob es sich aufgrund der Mächtigkeit und Stetigkeit des Wasseraustritts ein Bett mit festen Ufern schafft oder zu schaffen vermöchte, wäre es nicht gefasst worden.

Vorliegend war unbestritten, dass das Wasser der Quelle an mehreren Orten austrat, dass das Wasser durch die Miteigentümer weder gefasst noch genutzt wurde, und dass sich vor der zu Messzwecken durch die Gemeinde Brig-Glis erstellten Fassung weder ein Bachbett noch ein Bachlauf gebildet hatte. Das Wasser versickerte. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei eine Quelle nicht gleichsam abstrakt anhand der Mächtigkeit und Stetigkeit des Wasserausstosses bzw. der Folgen einer künstlichen Fassung als privat oder als öffentlich einzustufen. Wurde eine Quelle nicht gefasst, so äussert sich ihre Mächtigkeit und Stetigkeit laut Bundesgericht gerade darin, ob sich von Anfang an ein Wasserlauf gebildet, diese sich mit anderen Worten ein Bett mit festen Ufern zu schaffen vermocht hat. Es sei auf den ursprünglichen Zustand der Quelle abzustellen und nicht auf die Veränderung, die sich durch den von Menschenhand geführten Eingriff ergeben habe. Dies müsse erst recht gelten, wenn dieser Eingriff – wie hier – nicht durch die Grundeigentümer selbst veranlasst bzw. vorgenommen worden sei.

Ebenso wenig treffe die Überlegung zu, bei einer Mehrzahl von Wasseraustritten stehe der fehlende Bachlauf einer Qualifizierung einer Quelle als Bachquelle nicht entgegen, sofern deren Leistung insgesamt geeignet sei, einen Bachlauf zu bilden. Laut Bundesgericht fehlt ohne Wasserlauf bzw. Bach vielmehr jede Anknüpfung an ein öffentliches Gewässer, die es erlaubt, die Quelle als Teil des von ihr gebildeten Wasserlaufs zu betrachten.

Im Ergebnis stellte das Bundesgericht fest, dass die Quelle gerade nicht die Mächtigkeit und Stetigkeit besass, sich ein Bett mit festen Ufern zu schaffen, und nicht von Anfang an einen Wasserlauf bildete. Die Quelle sei daher eine Privatquelle im Sinne von Art. 704 Abs. 1 ZGB.

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Miteigentümer vollumfänglich gut.

Ergänzungsleistungen: Kürzung infolge Aufnahme einer Mitbewohnerin

Das Bundesgericht hat sich im Urteil 9C_326/2022 vom 23. November 2022 mit dem Umfang von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV im Rahmen eines Mietverhältnisses befasst.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde:

Der Beschwerdegegner bezieht Ergänzungsleistungen (EL) zu seiner Invalidenrente. Im April 2021 berechnete das Amt für Sozialbeiträge des Kantons Basel-Stadt (ABS) den EL-Anspruch des Beschwerdegegners neu und verlangte in diesem Zusammenhang eine Rückzahlung in der Höhe von CHF 7’543. Grund dafür war die Tatsache, dass eine weitere Person als Mitbewohnerin im Haushalt des Beschwerdegegners lebte, weshalb die Mietkosten hälftig auf den Beschwerdegegner und hälftig auf die Mitbewohnerin zu teilen seien. Der bisher ausbezahlte Beitrag berücksichtigte den gesamten Mietzins und war dementsprechend gemäss ABS zu hoch.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdegegner Einsprache, welche teilweise gutgeheissen wurde. Die Auffassung über die aufzuteilenden Mietzinsen blieb jedoch bestehen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hat die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid gutgeheissen. Das ABS ist mittels Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgerichts gelangt.

Das Bundesgericht befasste sich mit der Frage, ob die Vorinstanz durch die Gutheissung der Beschwerde gegen Art. 16c ELV verstossen habe, in dem sie dem EL-Empfänger den gesamten Mietzins zugesprochen habe.

Ergänzungsleistungen werden nach Art. 9 Abs. 1 ELG grundsätzlich für anerkannte Ausgaben, die die anrechenbaren Einnahmen übersteigen, ausbezahlt. Zu diesen Ausgaben zählt auch der Mietzins einer Wohnung dazu. Art. 16c Abs. 1 ELV legt allerdings fest, dass der Mietzinsanteil der nicht in die EL-Berechnung berücksichtigte Personen bei der Höhe der Ergänzungsleistungen ausser Acht gelassen werden muss. Der Mietzins muss dabei zu gleichen Teilen durch die im gleichen Haushalt lebenden Personen getragen werden (Art. 16c Abs. 2 ELV). Der Grund dafür liege in der nicht gewollten indirekten Mitfinanzierung von Personen, die nicht in der EL-Berechnung umfasst seien.

Von dieser Regel können Ausnahmen bestehen, nämlich dann, wenn die EL-berechtige Person den grössten Teil der Wohnung nutzt oder wenn das gemeinsame Wohnen aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht, wie z. B. einer Unterstützungspflicht erfolgt (vgl. BGE 105 V 271). Das Vorliegen von Ausnahmen wurde entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners verneint. Das altruistische Motiv des Beschwerdegegners für die Aufnahme der Person in der eigenen Wohnung reicht für eine sittliche Pflicht nicht aus. Auch unbeachtlich ist, dass die fragliche Person gleichzeitig andere Wohnungen gemietet hat, in denen sie aber effektiv nicht gelebt hat. Es wird in diesem Rahmen nämlich bloss auf das faktische und gemeinsame «Bewohnen» abgestellt.

Folglich lag keine von der Praxis anerkannte Ausnahme vor und die Beschwerde wurde mit Hinblick auf die Aufteilung des Mietzinses vom Bundesgericht gutgeheissen.