Mit Urteil 4A_299/2022 vom 10. Oktober 2022 hat sich das Bundesgericht mit einer Gerichtsstandsvereinbarung in einer Anwaltsvollmacht auseinander gesetzt.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdegegner wurde in einem Erbeteilungsprozess durch einen Anwalt vertreten. Die Anwaltsvollmacht, welche sowohl den Anwalt als auch weitere in der Anwaltskanzlei tätige Anwält:innen umfasste, enthielt die folgende Klausel: «Für die Erledigung von Streitigkeiten aus diesem Auftragsverhältnis werden die ordentlichen Gerichte des Kantons Zürich anerkannt. Ausschliesslicher Gerichtsstand ist der Geschäftssitz der Bevollmächtigten.» Der damalige Geschäftssitz der Anwaltskanzlei war die Stadt Zürich, dieser änderte sich jedoch später und lag sodann ausserhalb des Bezirkes.
Der Beschwerdegegner reichte aufgrund pflichtwidriger Prozessführung beim Bezirksgericht Zürich eine Klage gegen seinen Anwalt (Beschwerdeführer) ein. Für die örtliche Zuständigkeit berief er sich auf die in der Vollmacht aufgeführte Gerichtsstandsvereinbarung, was der Beschwerdeführer beanstandete.
Nach Art. 17 Abs. 1 ZPO können die Parteien einen Gerichtsstand vereinbaren, sofern das Gesetz nichts anderes vorsieht. In diesem Fall war aber nicht die Gültigkeit, sondern die konkrete Bedeutung resp. Reichweite der Klausel strittig.
Der Einwand des Beschwerdeführers, die Klausel sei für ihn persönlich nicht von Belang, da es nur die Kanzlei betreffe, wurde vom Bundesgericht mangels ausreichender Begründung abgelehnt. Das Urteil BGE 100 II 376, auf welches sich der Beschwerdeführer stützte, habe keine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten und sei somit vorliegend nicht einschlägig.
Das Argument des Beschwerdeführers, die Klausel sei «dynamisch» auszulegen und es sei nicht konkret das Bezirksgericht Zürich, sondern der aktuelle Geschäftssitz gemeint, fand ebenfalls kein Gehör. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass wenn bei einer Vereinbarung der tatsächliche Parteiwille nicht ermittelt werden kann, diese in einem zweiten Schritt nach dem Vertrauensprinzip auszulegen sei. Es kam sodann zum Ergebnis, dass aufgrund der konkreten Formulierung der Gerichtsstandsklausel nicht damit gerechnet werden musste, dass eine Geschäftssitzänderung erfolge. Das Abstellen auf den Geschäftssitz während der Dauer des Mandates diene der Voraussehbarkeit des Gerichtsstandes, was auch dem Sinn und Zweck einer solchen Klausel entspreche (BGE 132 III 268). Anders wäre es, wenn die Parteien vereinbart hätten, die Klage sei am «jeweiligen» Geschäftssitz zu erheben.
Das Bundesgericht bestätigte somit die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Zürich und wies die Beschwerde ab.
Die Bauherrschaft beauftragte im Rahmen eines Neubauprojektes für zwei Mehrfamilienhäuser eine Unternehmerin mit der Herstellung, Lieferung und Montage von Fenstern und Schiebetüren. Noch bevor die Unternehmerin die Schlussmontage beenden konnte, zerstritten sich die Parteien. Schliesslich liess die Bauherrschaft die Schlussmontage durch eine Drittfirma ausführen und verweigerte jegliche Zahlung an die Unternehmerin. Die Unternehmerin klagte gegen die Bauherrschaft auf Bezahlung des vereinbarten Werklohns. Das Handelsgericht hiess die Klage gut. Nun gelangte die Bauherrschaft mit Beschwerde an das Bundesgericht.
Durch den Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung (Art. 363 OR). Vorbehältlich anderer Abreden hat der Besteller die Vergütung bei der Ablieferung des Werks zu bezahlen (Art. 372 Abs. 1 OR). Die Ablieferung setzt voraus, dass das Werk vollendet ist. Dies ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung der Fall, wenn der Unternehmer alle vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat, das Werk also fertiggestellt ist. Ein Werk gilt zudem – trotz fehlender Fertigstellung – bei vorzeitiger Vertragsbeendigung als abgeliefert, sei es zufolge Kündigung oder einvernehmlicher Vertragsaufhebung.
Gestützt auf diese bundesgerichtliche Rechtsprechung erachtete die Vorinstanz die Bauherrschaft als entschädigungspflichtig, soweit das Werk von der Unternehmerin erstellt wurde. Die Bauherrschaft sei infolge vertragsgemässer Lieferung nicht zur Ersatzvornahme berechtigt gewesen und habe der Unternehmerin zu Unrecht die Werksvollendung verunmöglicht. Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz mit Verweis auf seine Rechtsprechung und wies die Beschwerde der Bauherrschaft ab.
Der aus Sri Lanka stammende A reiste am 31. Dezember 1991 in die Schweiz ein, worauf er in der Schweiz eine Staatsangehörige aus Sri Lanka heiratete und sie gemeinsam vier Kinder bekamen. Die Ehefrau entschloss sich später dazu, mit den Kindern in ihre Heimat zurückzukehren. A blieb in der Schweiz und erwarb das Schweizer Bürgerrecht.
Zwei der vier Söhne von A ersuchten im Jahr 2018 um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zwecks erleichterter Einbürgerung. Dieses Gesuch wurde jedoch abgelehnt. In der Folge beantragte A für die beiden Söhne Familiennachzug, was ebenfalls abgewiesen wurde.
Gegen die Verfügung des Amtes für Migration und Integration des Kantons Aargau erhoben A und seine Söhne beim Verwaltungsgericht Aargau Beschwerde. Diese wurde abgewiesen, weshalb A und seine Söhne sich an das Bundesgericht wandten.
Nach Art. 42. Abs. 1 AIG haben ausländische Ehegatten sowie ledige Kinder unter 18 Jahren von Schweizer Staatsbürger:innen einen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, sofern sie zusammenwohnen. Ausserdem besteht ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung, wenn jemand im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung eines Staates ist, mit dem die Schweiz ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen hat.
Art. 47 Abs. 1 AIG hält fest, dass der Anspruch innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht werden muss. Bei Kindern über zwölf Jahren beträgt die Frist 12 Monate. Von dieser Frist kann nur abgesehen werden, wenn wichtige familiäre Gründe bestehen. Solche Gründe liegen gemäss Art. 75 VZAE dann vor, wenn das Kindeswohl nur durch einen Nachzug gewahrt werden kann. Die Rechtsprechung stellt jedoch nicht nur auf das Kindeswohl, sondern auf die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls ab. Ein wichtiger Grund kann beispielsweise dann bejaht werden, wenn die Betreuung der Kinder im Herkunftsland nicht gewährleistet ist und auch keine Alternative gefunden werden kann.
Das Bundesgericht ging bei der Beurteilung nur auf die Beschwerde des zweitältesten Sohns ein, da nur dieser bei der Gesuchseinreichung minderjährig war. Es führte aus, dass die gesetzliche Frist von 12 Monaten zu wahren sei, da kein Freizügigkeitsabkommen mit Sri Lanka bestehe. Folglich war strittig, ob wichtige familiäre Gründe vorliegen. Gemäss Bundesgericht reichte das Argument, der Beschwerdeführer sei in Sri Lanka nicht integriert, für eine Anwendung von Art. 47 Abs. 4 AIG nicht aus. Auch sei nicht substanziiert dargelegt worden, inwiefern eine ausreichende Betreuungssituation in Sri Lanka nicht gewährleistet sei. Eine Familie, welche freiwillig lange Zeit getrennt lebe, bringe sodann ein geringes Interesse am gemeinsamen Familienleben zum Ausdruck, weshalb das Interesse an einer Einwanderungsbeschränkung grundsätzlich überwiege.
Mangels Vorliegen eines wichtigen familiären Grundes wies das Bundesgericht die Beschwerde ab.
Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 5A_71/2022 vom 14. September 2022 mit dem Herausgabeanspruch gegenüber einem nicht gutgläubigen Käufer auseinandergesetzt.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Mit schriftlichem Vertrag vom 20. Januar 2006 schenkte C ihrer Nichte ein Carigiet-Bild. Das Bild befand sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Haus, das die Schenkerin bewohnte. Gemäss Vertrag behielt sich die Schenkerin die Nutzniessung am Gemälde vor, solange sie in diesem Haus wohnte.
Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 27. Januar 2006 verkaufte C ihr Haus ihrem Enkel und begründete gleichzeitig eine lebenslängliche Nutzniessung zugunsten der Verkäuferin. Ziff. IV.4 der weiteren Vertragsbestimmungen dieses Kaufvertrags lautete wie folgt: „Die Einrichtungsgegenstände sind Gegenstand des vorliegenden Kaufvertrags, soweit diese nicht durch Schenkungen und oder Vermächtnisse Drittpersonen zugewendet werden.“
Als C ins Altersheim zog, ersuchte die Nichte den Enkel, ihr das Carigiet-Bild als Eigentümerin herauszugeben. Da der Enkel diese Herausgabe verweigerte, klagte die Nichte gegen den Enkel auf Herausgabe des Bildes und obsiegte sowohl erst- als auch zweitinstanzlich. Der Enkel gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.
Zur Übertragung des Fahrniseigentum bedarf es des Übergangs des Besitzes auf den Erwerber (Art. 714 Abs. 1 ZGB). Der Besitz wird übertragen durch die Übergabe der Sache selbst oder der Mittel, die dem Empfänger die Gewalt über die Sache verschaffen (Art. 922 Abs. 1 ZGB). Ohne Übergabe kann der Besitz einer Sache erworben werden, wenn ein Dritter oder der Veräusserer selbst aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses im Besitz der Sache verbleibt (Art. 924 Abs. 1 ZGB; Besitzeskonstitut). Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerb auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war (Art. 933 ZGB). Dies gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann, wenn der Erwerb des Eigentums mittels Besitzeskonstitut erfolgt.
Umstritten war vorliegend, ob der Enkel bezüglich der Verfügungsmacht von C über das streitbetroffene Bild gutgläubig war, als ihm am 27. Januar 2006 das Haus samt Einrichtungsgenstände verkauft wurde. Diesbezüglich gilt gemäss Art. 3 Abs. 1 ZGB die Vermutung des guten Glaubens. Diese Vermutung greift aber nur, wenn derjenige, der sich auf den guten Glauben beruft, den Nachweis dafür erbringt, den Umständen entsprechend aufmerksam gewesen zu sein (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Art. 3 Abs. 2 ZGB knüpft an die Umstände des Einzelfalls an und verlangt vom Gericht einen Billigkeitsentscheid (Art. 4 ZGB).
Das Bundesgericht gelangt in Bestätigung der Vorinstanz zum Schluss, dass Ziff. IV.4 des Grundstückkaufvertrags vom 27. Januar 2006 den Enkel hätte veranlassen müssen, sich bei C bzw. der Verkäuferin nach bereits erfolgten Verfügungen zu erkundigen. Wer wie der Enkel damit einverstanden sei, dass die Verkäuferin weiterhin frei über Einrichtungsgegenstände verfügen könne, dürfe allenfalls bereits erfolgte Verfügungen nicht einfach ignorieren. An dieser Erkundigungspflicht des Enkels ändere auch die besondere Nähe des Enkels zur Verkäuferin nichts.
Vorliegend habe der Enkel nicht behauptet, dass er solche Erkundigungen angestellt hätte und erst recht mache er nicht geltend, dass seine Grossmutter ihm nicht die Wahrheit gesagt hätte, wenn er sie nach bereits erfolgten Schenkungen und Vermächtnissen gefragt hätte. Im Ergebnis kann sich der Enkel laut Bundesgericht nicht auf seinen guten Glauben berufen, und zwar weder im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch später, als er das Haus tatsächlich in Besitz nahm. Entsprechend ist er auch nicht Eigentümer des Carigiet-Bildes geworden.
Im Ergebnis vermochte der Enkel dem Herausgabeanspruch der Nichte nichts entgegenzusetzen, weshalb das Bundesgericht die Beschwerde abwies.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: A (Klägerin) ist Mieterin von Geschäftsräumlichkeiten. Vermieterin (Beklagte) ist die Stiftung B. Der Mietvertrag wurde für eine feste Vertragsdauer von 10 Jahren abgeschlossen. Die Vermieterin hat sodann während der laufenden Mietdauer das Grundstück an eine AG (C) verkauft. Aus diesem Grund kündigte B das Mietverhältnis “ausserordentlich”. A hat diese Kündigung gestützt auf Art. 271 f. OR angefochten. Dieser Prozess ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden bundesgerichtlichen Verfahrens.
Parallel klagte A beim Handelsgericht des Kantons Zürich, der Mietvertrag sei als Vormerkung in das Grundbuch gemäss Art. 261b OR bzw. Art. 959 ZGB eintragen zu lassen. Das Handelsgericht ist auf die Klage nicht eingetreten.
Das Nichteintreten des Handelsgerichts ist auf Art. 243 Abs. 2 ZPO zurückzuführen. Gemäss dieser Norm findet im Bereich des Kündigungsschutzes das einfache Verfahren Anwendung. Das Handelsgericht ist sachlich bei Vorliegen des einfachen Verfahrens nicht zuständig, selbst wenn die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.
Streitig war in diesem Fall, ob eine Klage gestützt auf Art. 261b OR i.V.m. Art. 959 ZGB betreffend die grundbuchliche Vormerkung eines Mietverhältnisses den Kündigungsschutz betrifft.
Das Bundesgericht geht von einer weiten Auffassung des Begriffes „Kündigungsschutz“ aus. Entscheidend sei, ob das Gericht über die Beendigung eines Mietverhältnisses befinden müsse. Die realobligatorische wirkende Vormerkung diene dazu, die auf Art. 261 Abs. 2 lit. a OR gestützte Eigenbedarfskündigung der neuen Eigentümer:in zu verunmöglichen.
Das Bundesgerichts kommt zum Schluss, dass eine grundbuchliche Vormerkung somit durchaus als Massnahme des Kündigungsschutzes anzusehen sei, auch wenn die konkrete Beendigung des Mietverhältnisses anders als in anderen Fällen vorliegend nicht zentral war.
Zusammenfassend hat das Bundesgericht festgehalten, dass Streitigkeiten über die Vormerkung von Mietverhältnissen an Wohn- und Geschäftsräumen im Grundbuch unter den Begriff des “Kündigungsschutzes” fallen, weshalb das einfache Verfahren zur Anwendung gelange. Das Handelsgericht sei zurecht auf die Klage nicht eingetreten. Die Beschwerde wurde somit abgewiesen.
Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Eine Mutter von zwei Kindern ist seit einem Unfall Paraplegikerin, weshalb sie eine Invalidenrente und Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit bei der Invalidenversicherung bezieht. Die Mutter ersuchte um eine Erhöhung des Assistenzbeitrages, welche allerdings vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich abgewiesen wurde.
Menschen, die eine Hilflosenentschädigung bei der Invalidenversicherung beziehen, können auch einen Assistenzbeitrag beantragen. Ein solcher wird für Hilfeleistungen Dritter ausgestellt, wenn Hilfe bei der Alltagsbewältigung in Bereichen wie der Haushaltsführung, Erziehung, Kinderbetreuung usw. benötigt wird. Der individuelle Hilfebedarf einer Person wird dabei mittels des standardisierten Abklärungsinstrumentes FAKT2 ermittelt. Dabei wird der gesamte Hilfebedarf für eine Person je nach Hilfsbedürftigkeit in einem konkreten Lebensbereich, durch standardisierte Minutenwerte festgelegt. Diese Vorgehensweise wurde vom Bundesgericht im Leitentscheid BGE 140 V 543 als geeignet erachtet.
Im Bereich der Erziehung und der Kinderbetreuung sieht das FAKT2 einen maximalen Hilfebedarf von 14 Stunden pro Woche vor. Bei diesem Betrag wird zwar berücksichtigt, welches Alter die Kinder haben, nicht berücksichtig werden allerdings die Anzahl der Kinder und die An- oder Abwesenheit eines Elternteils, was von der Beschwerdeführerin kritisiert wird. Sie ist alleinerziehend und muss die Betreuung von zwei Kindern übernehmen. Weiter hervorgebracht wird, dass nach der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die durchschnittliche Zeit für die Kinderbetreuung bei Frauen 23 und bei Männern 14.8 Stunden pro Woche betrage. Die im FAKT2 festgelegten Stundenwerte seien somit nicht sachgerecht und deshalb bundesrechtswidrig.
Das Bundesgericht hält fest, dass der Leitentscheid BGE 140 V 543 präzisiert werden soll. Die standardisierten Werte des FAKT2 im Bereich der Erziehung und Kinderbetreuung seien für die Bemessung ungeeignet und ihnen komme somit keine Beweiskraft mehr zu.
Das Bundesgericht heisst somit die Beschwerde teilweise gut. Das Urteil des Sozialversicherungsgericht und die Verfügungen der Invalidenstelle werden aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verfügung an die Invalidenstelle zurückzugewiesen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Mann wurde durch die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts im Juli 2021 unter anderem wegen eines Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen „Al -Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen verurteilt. Nach dieser Norm macht sich strafbar, wer auf dem Gebiet der Schweiz diesen Gruppierungen beitritt und diese unterstützt. Die Bundesanwaltschaft beantragte die Anordnung der Verwahrung, was abgewiesen wurde. Die Bundesanwaltschaft beantragte vorliegend, diese Abweisung sei aufzuheben.
Die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass entweder eine Anlasstat aus dem Strafkatalog oder eine andere Straftat mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren vorliegt. Da Art. 2 Abs. 1 des sogenannten „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ keine Katalogstraftat darstellt, kommt lediglich eine Einordnung unter die Generalklausel infrage. Dafür bedarf es allerdings einer schweren Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität. Dieser Punkt war im Urteil strittig.
Durch Auslegung der fraglichen Bestimmungen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass Art. 2 Abs. 1 des „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ dazu diene, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Dafür werden Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die im Vorfeld einer anderen Straftat erfolgen. Bei solchen Vorbereitungshandlungen läge gemäss Bundesgericht keine schwere Beeinträchtigung der psychischen, physischen und sexuellen Integrität vor. Hinzu kämen strafrechtsdogmatische Überlegungen, da die Verwahrung als sichernde Massnahme nur als Ultima Ratio zur Anwendung gelange und somit sehr zurückhaltend zu bejahen ist. Es rechtfertige sich daher nicht, eine solch schwerwiegende Massnahme bei Vorbereitungshandlungen zu verhängen.
Abschliessend bedeutet dies, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung, wenn bloss eine Beteiligung an terroristischen Organisationen nachgewiesen werden kann, grundsätzlich nicht erfüllt sind.
Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_110/2022 vom 16. August 2022 mit der erleichterten Fusion bei indirekten Beteiligungsverhältnissen auseinandergesetzt.
Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Die Beschwerdeführerin ist eine AG (A) mit einem einzigen Aktionär (B). B besitzt zudem 60 % der Stammanteile einer GmbH (C). Die restlichen 40 % werden von einer zweiten GmbH (D) gehalten. B ist an D mit einem Anteil von 91 % beteiligt.
Am 31. Mai 2021 meldete Gesellschafter B beim Handelsregisteramt des Kantons Zug die Fusion gestützt auf Art. 23 f. FusG der A AG mit der C GmbH an. Das Handelsregister verweigerte die Eintragung mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine erleichterte Fusion seien vorliegend nicht gegeben. Insbesondere sei die Gesetzesnorm bei indirekten Beteiligungsverhältnissen nicht anwendbar.
Art. 23 Abs. 1 FusG legt fest, dass eine erleichterte Fusion in zwei Fällen möglich ist. Einerseits, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft alle Anteile der übertragenden Kapitalgesellschaft besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Mutter-Tochter-Fusion). Andererseits, wenn jemand alle Anteile der an der Fusion beteiligten Kapitalgesellschaften besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Schwesterfusion). Vorliegend war der zweite Fall einschlägig.
Problematisch war dabei, dass B nicht vollständig an der C GmbH beteiligt war, sondern mit 40 % nur mittelbar durch seine Beteiligung an der Gesellschaft D. Es stellte sich somit die Frage, ob die erleichterte Fusion auch in solchen Fällen durchgeführt werden kann.
Das Bundesgericht hält fest, dass es sowohl für die enge Auslegung von Art. 23 FusG als auch für die Anwendung der Norm bei Vorliegen indirekter Beteiligungsverhältnisse «plausible Gründe» gibt. Gemäss Auffassung des Bundesgerichts hat sich der Gesetzgeber jedoch bewusst für eine abschliessende Aufzählung der Voraussetzungen für die erleichterte Fusion ausgesprochen. Dies bestätige bereits ein Blick in die Vernehmlassungsunterlagen. Auch der Wortlaut des Gesetzestextes spreche dafür, da an den Besitz der Anteile und nicht an der Kontrolle der Gesellschaft angeknüpft werde. Somit liegt gemäss Bundesgericht kein qualifiziertes Schweigen vor und eine Lückenfüllung durch die Rechtsprechung ist nicht vorzunehmen.
Im Ergebnis ist Art. 23 f. FusG auf indirekte Beteiligungsverhältnisse nicht anwendbar. Das Bundesgericht wies die Beschwerde somit ab.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2015 errichtete die KESB der Stadt Zürich eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB für die Verbeiständete und ernannte eine Privatperson zur Beiständin. Im Jahr 2017 beantragte die Schwester der Verbeiständeten insbesondere, dass die Beiständin unverzüglich aus ihrem Amt zu entlassen sei. Die Beschwerde der Schwester der Verbeiständeten wurde von beiden Vorinstanzen gutgeheissen. Die Beiständin gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.
Die KESB entlässt die Beistandsperson gemäss Art. 423 Abs. 1 ZGB, wenn die Eignung für die Aufgabe nicht mehr besteht (Ziff. 1) oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt (Ziff. 2). Art. 423 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB setzt laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein Fehlverhalten der Beiständin voraus, sondern lediglich eine abstrakte Gefährdung der Interessen der betroffenen Person. Für die Entlassung aus wichtigem Grund sei eine Gefährdung der Interessen bzw. des Wohls der betroffenen Person zu verlangen. Der wichtige Grund setze ein der Beiständin zuzuschreibendes Handeln oder Unterlassen voraus, das in schwerwiegender Weise eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der erwachsenenschutzrechtlichen Tätigkeit darstelle. Dazu zählten Ursachen wie etwa Amtsmissbrauch oder Rollenkonflikte.
Art. 416 ZGB verlangt für bestimmte Geschäfte, die eine Beistandsperson in Vertretung der betroffenen Person vornimmt, die Zustimmung der KESB. Das Zustimmungserfordernis ist nicht absolut. Die Zustimmung der KESB ist laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn die verbeiständete Person ihr Einverständnis zu diesen Handlungen gegeben hat, diesbezüglich urteilsfähig ist und mit der Errichtung der Beistandschaft die KESB ihr die entsprechende Handlungsfähigkeit nicht entzogen hat (vgl. Art. 416 Abs. 2 ZGB). Immer der Zustimmung der KESB bedürfen Verträge zwischen der Beiständin und der betroffenen Person, ausser diese erteilt einen unentgeltlichen Auftrag (Art. 416 Abs. 3 ZGB).
Vorliegend bestand laut den Vorinstanzen und der Schwester der Verbeiständeten insbesondere ein Interessenkonflikt. So war die Beiständin bis vor kurzem Stiftungsrätin einer von der Verbeiständeten als Stifterin gegründeten Stiftung, wobei der Sohn der Beiständin immer noch Mitglied des Stiftungsrates ist. Die Beiständin hatte unbestrittenermassen sehr grosse Geldbeträge aus dem Vermögen der Verbeiständeten an diese Stiftung überwiesen. Ebenfalls unbestritten war die Unfähigkeit der Verbeiständeten, Bedeutung und Tragweite von Auftragsgeschäften im Sinne von Art. 394 OR erkennen zu können. Laut Bundesgericht bestand deswegen ein offenkundiger Interessenkonflikt. Der Einwand der Beiständin, die KESB habe die Transaktionen im Zuge der vorbehaltslosen Genehmigung der von ihr erstellten Rechenschaftsberichte genehmigt, ändere daran nichts: So entfallen bei Interessenkonflikten von Gesetzes wegen die Befugnisse der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit (Art. 403 Abs. 2 ZGB). Eine allfällige Zustimmung der KESB vermag die fehlende Vertretungsmacht der Beiständin beim Abschluss des Rechtsgeschäfts laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zu heilen.
Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht die Entlassung der Beiständin aufgrund des bestehenden Interessenkonflikts und weist die Beschwerde der Beiständin ab.
Die Voraussetzungen für eine Kindes- oder Erwachsenenschutzmassnahme, die Rechte und Pflichten der Mandatsführenden sowie die Zuständigkeiten und das Verfahren sind gesetzlich geregelt. Bei Fragen unterstützen wir Sie gerne.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein in der Schweiz wohnhaftes Ehepaar hatte in Georgien einen Leihmutterschaftsvertrag mit der Leihmutter und einer Eizellenspenderin abgeschlossen. Die Samenspende stammte vom Ehemann. In der Geburtsurkunde wurden nach georgischem Recht die Wunscheltern automatisch als Vater und Mutter des Kindes eingetragen. Die Wunscheltern beantragten kurz nach der Geburt des Kindes im Jahr 2019 in der Schweiz die Eintragung der Wunscheltern als Eltern gestützt auf die in Georgien ausgestellte Geburtsurkunde.
Entgegen den Angaben gemäss Geburtsurkunde trug das Zivilstandesamt die Leihmutter als einzigen Elternteil ein, mit georgischer Staatsangehörigkeit des Kindes. Gegen die Eintragungsverfügung erhoben die Wunscheltern erfolgreich Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), handelnd durch das Bundesamt für Justiz (BJ), gelangte in der Folge mit Beschwerde ans Bundesgericht.
Da es sich vorliegend nicht um eine ausländische Entscheidung, sondern um eine ausländische Geburtsurkunde handelt, stellt sich im Rahmen der Anerkennung die Frage nach deren Vereinbarkeit mit dem schweizerischen «Ordre public» nicht. Vielmehr stellt sich laut Bundesgericht die Frage nach dem in der Sache massgebenden Recht.
Gemäss Art. 68 Abs. 1 IPRG unterstehen die Entstehung des Kindesverhältnisses sowie dessen Feststellung oder Anfechtung dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist als gewöhnlicher Aufenthaltsort des Kindes der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen zu verstehen. Meistens falle der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes im massgeblichen Zeitpunkt mit dem Lebensmittelpunkt zumindest eines Elternteils zusammen. Bei Neugeborenen seien naturgemäss die familiären Bindungen zum betreuenden Elternteil als Indiz des gewöhnlichen Aufenthalts entscheidend; die Bindungen der Mutter an ein Land erfassten regelmässig auch das Kind. Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist der Zeitpunkt der Geburt massgebend (Art. 69 Abs. 1 IPRG). Zweck der einzigen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt sei die Anknüpfung an jene Rechts- und Sozialsphäre, in der das Kind und die Eltern tatsächlich leben würden, was auch für das Leihmutterschaftskind und die betreuenden Wunscheltern gelte.
Vorliegend ging das Bundesgericht davon aus, dass der Aufenthalt der Wunscheltern in Georgien lediglich vorübergehender Natur war und nicht ausschlaggebend sei. Vielmehr befinde sich der gewöhnliche Aufenthaltsort vorliegend in der Schweiz. So hatten die Wunscheltern bereits im Zeitpunkt der Geburt geplant, mit dem Kind in die Schweiz zurückzukehren. Demzufolge ist laut Bundesgericht Schweizer Recht anwendbar.
Gemäss Art. 252 Abs. 1 ZGB gilt als rechtliche Mutter des Kindes die gebärende Frau und somit die Leihmutter. In Bezug auf den (Wunsch-)Vater und auch biologischen Vater des Kindes ist fraglich, ob die Anerkennung im Rahmen des Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrags als Vaterschaftsanerkennung nach Schweizer Recht gewertet werden kann. Gemäss Art. 260 Abs. 1 ZGB kann der Vater das Kind anerkennen, wenn das Kindesverhältnis nur zur Mutter besteht. Nach den Regeln des ZGB kann diese Anerkennung jederzeit zu Lebzeiten des Kindes erfolgen, aber auch vor der Geburt, jedoch nicht vor der Zeugung. Da der Vertrag vorliegend vor der Zeugung abgeschlossen wurde, ist die Vaterschaftsanerkennung gemäss Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrag laut Bundesgericht ungültig. Der (Wunsch-)Vater hat die Vaterschaftsanerkennung gestützt auf Art. 260 ZGB zur beantragen und kann sich hierfür auch nicht auf die georgische Geburtsurkunde stützen. Ob eine Vaterschaftsanerkennung im Rahmen eines im Ausland zwecks Umgehung des hiesigen Leihmutterschaftsverbots abgeschlossenen Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrags gültig ist, liess das Bundesgericht offen.
In der Folge könne die Wunschmutter das Kind gestützt auf Art. 264c ZGB adoptieren. So darf eine Person das Kind adoptieren, mit dessen Vater sie verheiratet ist und das Paar seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führt (Art. 264c Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 ZGB). Vorliegend bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Stiefkindadoption nicht durchführbar wäre.
Im Ergebnis könne die Geburt des Kindes in das schweizerische Personenstandsregister eingetragen werden, bevor die Kindesverhältnisse zu den Wunscheltern hergestellt seien. Im weiteren genügt die Kindesanerkennung durch den (Wunsch-)Vater, damit das Kind die schweizerische Staatsbürgerschaft erhält. Aus Schweizer Recht ergibt sich weiter, dass das Kind vorerst mit dem Namen der Leihmutter einzutragen ist.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des BJ somit gut.