Mit Urteil 8C_348/2023 vom 3. Mai 2024 hat sich das Bundesgericht mit dem Unfallbegriff befasst: Konkret setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob eine HIV-Infektion als Unfall zu qualifizieren ist.
Als Unfall (der die Leistungspflicht der Unfallversicherung auslöst) gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Fehlt es an einem dieser Elemente, kann geprüft werden, ob die Gesundheitsbeeinträchtigung als Krankheit (Art. 3 Abs. 1 ATSG) zu qualifizieren ist (Kostentragung durch Krankenversicherung).
Hauptstreitpunkt war die Frage, ob das Merkmal der “Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors” zu bejahen ist (E. 4).
Nach der Rechtsprechung ist ein äusserer Faktor ungewöhnlich, wenn er nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist (E. 4.1.1. m.V.a. BGE 134 V 72). Die Ungewöhnlichkeit bezieht sich nicht auf die Wirkung/die Folgen eines Faktors, sondern auf diesen selber.
Ein Gesundheitsschaden, der durch eine Infektion verursacht wird, ist grundsätzlich eine Krankheit (E. 4.1.2 m.V.a. BGE 122 V 230). Eine unfallmässige Verursachung der Infektion setzt nach der Rechtsprechung das Vorhandensein einer Wunde im Zeitpunkt der Infizierung voraus. Ein Unfall wird beispielsweise bejaht beim Biss einer Zecke, der zu einer Borreliose geführt hat (BGE 122 V 230, E. 5a). Wird eine HIV-Infektion durch den Griff in eine kontaminierte Spritze verursacht, wird ebenfalls ein Unfall angenommen (BGE 140 V 356).
Vorliegend war unstreitig, dass die Beschwerdeführerin über zehn Jahre in einer Beziehung mit einem Partner lebte, der ihr seine HIV-Infektion während mehr als drei Jahren verschwieg und ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr hatte, was zu ihrer Ansteckung führte. Der Partner wurde der schweren Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin und der versuchten schweren Körperverletzung zum Nachteil der gemeinsamen Tochter schuldig gesprochen (E. 4.3).
Das Bundesgericht hält fest, die Unfallversicherung sei für eine Infektionskrankheit nur dann leistungspflichtig, wenn die Übertragung des Krankheitserregers durch ein eigentliches Unfallereignis erfolgt sei. Der Irrtum über die HIV-Positivität ihres Partners sei unerheblich (E. 4.4.1). Auch der Umstand, dass der ehemalige Partner strafrechtlich verurteilt wurde, sei für die Frage der Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors nicht ausschlaggebend: Straftaten, die mit einer Einwirkung auf den menschlichen Körper verbunden sind, stellen regelmässig Unfallereignisse dar. Entscheidend sei aber nicht die strafrechtliche Relevanz der gesundheitsschädigenden Handlung an sich, sondern dass die die Elemente des Unfallbegriffs erfüllen.
Die Beschwerde wurde somit abgewiesen.