Bundesrat will Position von Grundstückbesitzer:innen bei Hausbesetzungen stärken

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 15. Dezember 2023 die Botschaft zur Verbesserung der Stellung von Grundstückbesitzer:innen verabschiedet. Er ging hierbei auf die Forderungen der Motion Feller 15.3531 ein, welche die Beseitigung existierender Hürden im geltenden Recht für die Wiederbemächtigung des Besitzes durch den/die Grundstückbesitzer:in forderte (MM).

Eckdaten: Der Bundesrat schickte eine Änderung des Schweizer ZGB zur Besserstellung von Grundstückbesitzer:innen am 2. September 2020 in die Vernehmlassung und nahm am 29. Juni 2022 die Resultate der Vernehmlassung zur Kenntnis. Am 15. Dezember 2023 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Weiterbearbeitung durch das Parlament.

Konkrete Änderungen: Der Bundesrat entschied einerseits, dass der/die Grundstückbesitzer:in zur eigenständigen Wiederbemächtigung des Grundstücks weiterhin «sofort» handeln muss. Dies diene der Rechtssicherheit und verhindere, dass das staatliche Gewaltmonopol «aufgeweicht» wird. Gleichzeitig legte der Bundesrat fest, dass die Frist zur Handlung dann beginnt, wenn der/die Besitzer:in Kenntnis von der Hausbesetzung erhält – sofern dies bei gebotener Sorgfalt nicht bereits früher möglich gewesen wäre. Gemäss dem neuen Gesetzesentwurf kann Selbsthilfe angewendet werden, sofern amtliche Hilfe nicht rechtzeitig verfügbar ist und sich der/die Besitzer:in jeder nach den Umständen nicht gerechtfertigten Gewalt enthält (vgl. Art. 926 Abs. 4 E-ZGB). Die Zulässigkeit der Selbsthilfe hängt damit von den Umständen im Einzelfall ab.

Der neue Gesetzesentwurf verzichtet – vor dem Hintergrund der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen – auf direkte Vorgaben zur Räumung von Hausbesetzungen. Immerhin sehen die Änderungen des Bundesrats eine Verminderung von prozessualen Hürden zur Räumung von Grundstücken vor und gewährt Grundstückbesitzer:innen insbesondere die Möglichkeit zur gerichtlichen Verfügung gegen unbekannte Personen und damit zur rascheren Zwangsräumung. Ferner können Besitzer:innen gerichtliche Verfügungen neu auf Antrag durch eine Behörde anbringen lassen.

Zur Medienmitteilung

Rechtliche Inputs :

  • Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum: Die Vorschriften, welche die Hausbesetzung betreffen, knüpfen am Grundstückbesitz an (sog. Besitzesschutz). (Grund-)Besitzer:innen sind von (Grund-)Eigentümer:innen zu unterscheiden: Ein:e Besitzer:in hat die tatsächliche Gewalt über eine Sache (vorliegend das Grundstück) und übt die Gewalt willentlich über diese Sache bzw. das Grundstück aus (vgl. Art. 919 Abs. 1 ZGB; Ernst/Zogg, BSK ZGB II, Aufl. 7, Art. 919 N 15 ff.). Demgegenüber hat ein:e Eigentümer:in alle Befugnisse an einer Sache, die im Rahmen des Rechts möglich sind, wobei diese Befugnisse «die Sache in ihrer Gesamtheit» betreffen. Eigentümer:innen haben somit namentlich das Recht, die Sache zu verkaufen oder Eingriffe von Dritten abzuwehren (vgl. Art. 641 ZGB; Wolf/Wiegand, Vor Art. 641 ff., N 42 und Art. 641 N 25, 31 ff.). Eigentümer:innen können zugleich Besitzer:innen sein, wenn sie Eigentum an einer Sache bzw. an einem Grundstück haben und dort tatsächliche Gewalt ausüben.
    Beispiel: A mietet eine Wohnung des Vermieters B, dem die Wohnung gehört. B ist der Eigentümer der Wohnung. Er kann darüber bestimmen, was er damit machen möchte, und könnte diese verkaufen. A ist Mieter und hat damit tatsächliche Gewalt über die Wohnung. A ist Besitzer. Vermietet B die Wohnung nicht und wohnt er selbst darin, ist er zugleich Eigentümer und Besitzer.
  • Kantonale Regelung (vgl. Mabillard, S. 156 ff.): Seit Inkrafttreten des Besitzesschutzes auf Bundesebene (Art. 926 ff. ZGB) wurde der Besitzesschutz in den Kantonen weitgehend vereinheitlicht. Dennoch haben die kantonalen Behörden in der Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung sowie in der Umsetzung des Besitzesschutzes nach wie vor grosse Spielräume. Im Bereich von Hausbesetzungen ist heute noch das kantonale (Polizei-)Recht massgebend. Nachstehend werden beispielhaft die Voraussetzungen für eine Räumung für die Kantone Bern, Zürich und Genf aufgezeigt:
  • Bern: Gemäss Berner Praxis setzt eine polizeiliche Räumung einen Straf- sowie einen Räumungsantrag voraus. Ein vorheriger Zivilprozess ist nicht notwendig. Liegen die Voraussetzungen zur polizeilichen Räumung vor, wird die Räumung des besetzten Grundstücks unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeits- und des Opportunitätsprinzips durchgeführt. Die Praxis der polizeilichen Räumung wird von einem Präventions- und Vermittlungsangebot der Zwischennutzungsstelle der Immobilienverwaltung der Stadt Bern begleitet. Zurzeit wird eine Anpassung der Berner Praxis an die Zürcher Praxis diskutiert (vgl. S. 175 ff. des Gutachtens).
  • Zürich: Die Zürcher Stadtpolizei kennt mit dem Massnahmenkonzept «Prävention, Legalisierung, Strafverfolgung und Räumung» eine mehrstufige Praxis. Nach dieser Praxis sind für die polizeiliche Räumung durch die Stadtpolizei vorausgesetzt: Ein gültiger Strafantrag sowie entweder «eine rechtskräftige Abbruchbewilligung, eine rechtskräftige Baubewilligung einschliesslich Baufreigabe und Belege der unverzüglichen Aufnahme der Abbruch- bzw. Bauarbeiten, ein Vertrag zur Nutzung der Liegenschaft nach deren Räumung oder eine Gefährdung der Sicherheit von Personen bzw. von denkmalgeschützten Bauteilen oder Einrichtungen». Die Stadtpolizei Zürich stützt sich dabei in erster Linie auf ein Merkblatt für Hausbesetzungen, das vom Stadtrat erlassen wurde (vgl. S. 183 ff. des Gutachtens).
  • Genf: Das Vorgehen gegen Hausbesetzungen ist auf der Grundlage von kantonalen Rechtsgrundlagen (vgl. namentlich Art. 1 Abs. 3 lit. a LPol GE) möglich. Hierfür notwendig ist ein Strafbefehl und es muss der jeweilige Einzelfall berücksichtigt werden. Für die Genfer Polizei ist in erster Linie insbesondere die Kommunikation mit dem/der Grundbesitzer:in zentral (vgl. S. 158 ff. des Gutachtens).

Zum vollständigen Gutachten zur Motion Feller von Dr. iur. Ramon Mabillard LL.M : Besitzesschutz bei Hausbesetzungen

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Schweiz regelt grenzüberschreitende Erbfälle neu

Im Rahmen der Revision des internationalen Erbrechts (MM) gab es zwischen dem National- und dem Ständerat in den vergangenen Jahren verschiedene Differenzen (vgl. Debatte). An seiner Sitzung vom 12. Dezember 2023 hat der Ständerat nun die letzte Meinungsdifferenz zum Nationalrat beseitigt (SDA-Meldung und Votum Ständerat):

Die Revision des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) strebt die Angleichung an das EU-Recht an und soll die Zuständigkeiten der Staaten bzw. Behörden in grenzüberschreitenden Erbfällen klären.

Im Zentrum stehen Sachverhalte, in welchen Personen ihren Wohnsitz von der Schweiz ins Ausland verlegen, dort versterben und Vermögen in der Schweiz sowie an ihrem letzten Wohnsitz hinterlassen. Gegenstand der letzten bestehenden Differenz zwischen National- und Ständerat bildete die Rechtswahl – mittels Testament oder Erbvertrag – durch eine:n Schweizer Staatsbürger:in mit mehrfacher Staatsbürgerschaft. Der Ständerat vertrat zu Beginn die Ansicht, dass Schweizer:innen mit mehrfacher Staatsbürgerschaft keine Rechtswahl zustehen soll bzw. diese das Schweizer Recht wählen müssen. Der Nationalrat und der Bundesrat befürworteten diesen Vorschlag nicht. Der Nationalrat beanstandete insbesondere die dadurch entstehende Ungleichbehandlung von Schweizer:innen mit und ohne mehrfache Staatsbürgerschaft.

Der Ständerat hat dem Kompromissvorschlag des Nationalrats schliesslich zugestimmt, wonach Schweizer:innen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit die Anwendbarkeit von ausländischem Recht wählen können sollen, jedoch die Pflichtteile gemäss Schweizer Recht unberührt lassen müssen.

Zur SDA-Meldung: Schweiz regelt grenzüberschreitende Erbfälle neu // Zur Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (Erbrecht): BBl 2020 3309

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Eishockey und das Recht

Eishockey als besonders schnelle Kontaktsportart mit erhöhtem Risiko führt regelmässig zu Verletzungen. Es stellt sich somit – stärker als in anderen Sportarten – die Frage, wie mit solchen Verletzungen in rechtlicher Hinsicht umzugehen ist.

Insbesondere interessiert, wie sich die verschiedenen Akteure des Eishockeys organisieren und inwiefern allfällige Regeln und Vorschriften für den Hockeysport existieren. Thomas Brumann diskutiert in seiner jüngsten Publikation die Rechtslage dieser Sportart. Er nimmt Bezug auf die nationale und internationale Organisation des Eishockeys, die Regelungen für den Hobbysport, die verbandsinterne Rechtspflege sowie spezifische Fragestellungen hinsichtlich Verletzungen aus zivil- und strafrechtlicher Sicht im Eishockey.

Der Hockeysport wird in erster Linie durch Vereine organisiert, welche sich wiederum in regionalen, nationalen oder internationalen Dachverbänden zusammenschliessen. Solche Verbände müssen zu einem Mindestmass strukturiert sein und gewisse (internationale) übergeordnete Vorschriften beachten, damit Eishockey auf internationaler Ebene ausgeübt werden kann.

In der Schweiz hat der Dachverband Swiss Ice Hockey Federation (SIHF) eine bedeutende Rolle. Seine Mitglieder stellen namentlich Eishockeyclubs des Leistungs- oder Hobbysports dar. Eishockey als Hobbysport besteht einerseits aus Amateurligen und den daran teilnehmenden Clubs und andererseits aus Hobbymannschaften, welche nicht an diesen Ligen teilnehmen. In den Amateurliegen gelten die offiziellen Regeln der International Ice Hockey Federation (IIHF), die Statuten des SIHF sowie allfällige spezifische Reglemente und Weisungen der jeweiligen Liga-Versammlung. Auch im Frauenhockey – der als Breiten- sowie als Leistungssport ausgeübt wird – und im «Plausch-Eishockey» gelten weitegehend die Regeln der IIHF. Der SIHF regelt die Rechtspflege, insbesondere deren Organisation und das Verfahren, in einem Reglement und in seinen Statuten. Die Sportart Eishockey soll sich so weit wie möglich durch eine «professionelle und vertrauenswürdige Verbandsgerichtsbarkeit selbst regulieren». So sind interne Rechtspflegeorgane der SIHF vorgesehen, deren Entscheide ggf. ausschliesslich vor dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS) angefochten werden können. Für bestimmte Angelegenheiten, die namentlich das Arbeits- und Strafrecht betreffen, sind jedoch (zwingend) staatliche Gerichte zuständig.

Als risikoreiche Sportart kann im Eishockey nicht jede Verletzung zivil- und/oder strafrechtlich relevant sein:

In strafrechtlicher Hinsicht ist eine Ahndung schon deshalb schwierig, da namentlich leichte Körperverletzungsdelikte und Tätlichkeiten Antragsdelikte sind und somit nicht von Amtes wegen verfolgt werden. Weitere Schwierigkeiten bilden insbesondere die Bejahung der Absicht zum Zufügen einer Verletzung und die (konkludente) Einwilligung der verletzten Person. Grundsätzlich sind geringfügige Regelverstösse, die durch spontane und schnellste Reaktionen während dem Spiel erfolgen, zu akzeptieren. Daher ist die Aussage des Bundesgerichts, wonach ein Eishockeyspieler sich «auf dem Eis immer so bewegen muss, dass er auf gefährliche Situationen reagieren und notfalls noch bremsen oder seinem Gegenspieler ausweichen kann», nicht ganz zufriedenstellend. Letztlich sollten auch die Art des Regelverstosses und die Verletzungsgefahr sowie, um eine umfassende Abschreckungsfunktion zu erreichen, das Einkommen des Verursachers berücksichtigt werden.

In zivilrechtlicher Hinsicht kann ferner, unabhängig der strafrechtlichen Beurteilung, u.U. Schadenersatz oder Genugtuung eingeklagt werden.

Der vollständige Aufsatz finden Sie auf der Webseite des Sportverbandskommentars, Eishockey.

Für allgemeine Grundlagen zur Streitbeilegung im Sport wird auf den Aufsatz Arbitration (Grundlagen) von Rahel Müller verwiesen.

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Lex Koller: Personalwohnungen als Betriebsstätte

Das Bundesgesetz über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland (Bewilligungsgesetz, BewG, Lex Koller) regelt die Frage, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen sog. Personen im Ausland Grundstücke in der Schweiz oder Beteiligungen an Gesellschaften, deren Zweck der Erwerb von Grundstücken ist, erwerben können.

Gemäss Art. 2 Abs. 2 Bst. a BewG bedarf der Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland keiner Bewilligung, wenn das Grundstück als ständige Betriebsstätte eines Handels-, Fabrikations- oder eines anderen nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes, eines Handwerksbetriebes oder eines freien Berufes dient. Ein “klassisches” Hotel stellt eine solche Betriebsstätte dar.

Gemäss geltendem Recht werden Personalwohnungen nicht von der Hotelbetriebsstätte-Ausnahme erfasst (so auch das Bundesgericht in BGE 147 II 281). Das Bundesgericht ankerkennt zwar, dass “das Hotelpersonal grundsätzlich auf die Zuverfügungsstellung von Personalwohnungen angewiesen ist und auf dem betroffenen, lokalen Mietmarkt schwer Wohnraum zu finden ist”, kommt jedoch zum Schluss, dass mangels Rechtsgrundlage ein bewilligungsfreier Erwerb von Personalwohnungen durch eine Person im Ausland nicht zulässig sei (E. 4.7).

Mit Motion 22.4413 hat Ständerat Schmid eine entsprechende Anpassung der Bewilligungsverordnung angestossen und beantragt, Art. 3 BewV sei wie folgt anzupassen: “Die Verwendung des Grundstückes für die Erstellung oder gewerbsmässige Vermietung von Wohnraum, der nicht zu einem Hotel oder Apparthotel gehört, begründet keine Betriebsstätte im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a BewG. Davon ausgenommen ist Wohnraum, der einem Hotel oder Apparrthotel zur Unterbringung von betriebsnotwendigem Personal dient.”

Der Nationalrat hat den Vorstoss – entgegen des Antrags des Bundesrates – am 25. September 2023 als Zweitrat angenommen (Amtliches Bulletin) und somit den Bundesrat beauftragt, eine entsprechende Anpassung der BewV vorzunehmen.

Eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen um den Erwerb von Personalwohnungen zu ermöglichen entspricht einem ausgewiesenen Bedürfnis. Offen ist, ob eine Anpassung auf Verordnungsstufe reicht, oder ob die Grundlage nicht in das BewG gehören würde. Ferner wäre es im Sinne der Lex Koller sicher wünschenswert, wenn die vorgesehene Anpassung Schutzmechanismen vorsieht, um das Risiko einer späteren Zweckentfremdung und somit Verletzung der Lex Koller zu minimieren.

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Die Änderung der ZPO tritt am 1. Januar 2025 in Kraft

Der Bundesrat hat an seiner heutigen Sitzung beschlossen, die Änderung der ZPO per 1. Januar 2025 in Kraft zu setzen (MM).

Zu einigen Änderungen (vgl. Referendumsvorlage):

Kostenvorschuss:
Nach geltendem Recht kann die klagende Partei verpflichtet werden, die mutmasslichen Gerichtkosten vollumfänglich vorzuschiessen. Künftig betragen die Vorschüsse grundsätzlich noch maximal die Hälfte des mutmasslichen Gesamtbetrags (Art. 98 Abs. 1 revZPO).

Liquidation der Prozesskosten:
Nach geltendem Recht werden die Gerichtskosten mit den geleisteten Vorschüssen verrechnet – und zwar auch gegenüber einer nicht kostenpflichtigen Partei. Künftig dürfen Vorschüsse nur noch in den Fällen der Kostenpflichtigkeit einer Partei verrechnet werden (Art. 111 Abs. 1 revZPO). Dies führt zu einer Verschiebung des Insolvenzrisikos für die Gerichtskosten auf den Staat.

Schlichtungsverfahren:
50 bis 80% der Streitigkeiten werden im Rahmen von Schlichtungsverfahren erledigt. Künftig soll die Schlichtung noch häufiger angewendet werden und die Schlichtungsbehörde erhält zusätzliche Kompetenzen: so kann die Schlichtungsbehörde künftig bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 10’000 (aktuell CHF 5’000) einen Entscheidvorschlag (geltendes Wording: “Urteilsvorschlag”) unterbreiten (Art. 210 abs. 1 Bst. c revZPO). Neu ist auch die gesetzliche Verankerung einer Ordnungsbusse als Säumnisfolge (Art. 206 Abs. 4 revZPO).

Internationale Handelsgerichtsbarkeit und Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung:
Nach der Revision können die Kantone ihr allfälliges Handelsgericht unter bestimmten Voraussetzungen auch für internationale Handelsstreitigkeiten vorsehen. Ferner sollen die Gerichte künftig Zivilprozesse unter bestimmten Voraussetzungen mittels elektronischer Ton- und Bildübertragung durchführen können (Art. 141a und 141b revZPO).

Anpassungen im Novenrecht:
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen war auch die Anpassung der “Novenschranke” ein umstrittenes Thema. Gemäss der verabschiedeten neuen Regelung von Art. 229 Abs.2 und 2bis revZPO gilt neu:
Hat weder ein zweiter Schriftenwechsel noch eine Instruktionsverhandlung stattgefunden, so können neue Tatsachen und Beweismittel in der Hauptverhandlung im ersten Parteivortrag unbeschränkt vorgebracht werden.
In den anderen Fällen können neue Tatsachen und Beweismittel innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, spätestens bis zum ersten Parteivortrag in der Hauptverhandlung vorgebracht werden, wenn sie: a. erst nach Abschluss des Schriftenwechsels oder nach der letzten Instruktionsverhandlung entstanden sind (echte Noven); oder b. bereits vor Abschluss des Schriftenwechsels oder vor der letzten Instruktionsverhandlung vorhanden waren, aber trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten (unechte Noven).
Nach den ersten Parteivorträgen werden neue Tatsachen und Beweismittel nur noch berücksichtigt, wenn sie in der vom Gericht festgelegten Frist oder, bei Fehlen einer solchen Frist, spätestens in der nächsten Verhandlung vorgebracht werden.
Es wird abzuwarten sein, wie sich diese Neugestaltung des Novenrechts auf die Praxis auswirken wird.

Der kollektive Rechtsschutz (“Sammelklage”) wird in einer getrennten Vorlage behandelt. Mehr dazu unter: bm-aktuell, vgl. auch den Entwurf des Bundesrates. Diesbezüglich erfährt die ZPO somit (noch) keine Anpassung. Die zuständige Kommission (RK-N) hat diesbezüglich am 4. Juli 2023 entschieden, dass vor ihrem Entscheid über das Eintreten auf die Vorlage eine erweiterte Prüfung möglicher Sicherheitsmassnahmen zur Verhinderung von missbräuchlicher Nutzung der Sammelklage-Instrumente sowie eine Validierung der vorliegenden Regulierungsfolgenabschätzung angezeigt sei. Die Kommission wird die Beratung voraussichtlich im 1. Quartal 2024 wieder aufnehmen (MM).

Für eine abschliessende Übersicht der anstehenden Änderungen wird der Beitrag von Philipp Weber (RA und Leiter Fachbereich Zivilrecht und Zivilprozessreicht BJ) in der ZBJV 159/2023, 377 ff. empfohlen.

Änderungen der Strafprozessordnung per 1. Januar 2024

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 23. August 2023 entschieden, die vom Parlament im Juni 2022 beschlossenen Änderungen der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) auf den 1. Januar 2024 in Kraft zu setzen. Davon ausgenommen sind drei Bestimmungen im Jugendstrafgesetz (JStG) und in der entsprechenden Prozessordnung (JStPO) (MM).

Ziel der Vorlage ist, die Praxistauglichkeit der StPO zu verbessern. Künftig muss die Staatsanwaltschaft beispielsweise in einem Strafbefehlsverfahren die beschuldigte Person immer einvernehmen, wenn zu erwarten ist, dass der Strafbefehl eine zu verbüssende Freiheitsstrafe zur Folge haben wird (Art. 352a StPO). Weiter kann im Strafbefehlsverfahren künftig über Zivilforderungen bis zu CHF 30’000 entschieden werden, sofern deren Beurteilung ohne weitere Beweiserhebungen möglich ist (Art. 353 Abs. 2 StPO).

Auch die Opferrechte werden ausgebaut: Beispielsweise können Opfer Urteile oder Strafbefehle gegen den Täter resp. die Täterin künftig unentgeltlich erhalten (Art. 117 Abs. 1 Bst. g StPO).

Im Rahmen der parlamentarischen Debatte war insbesondere die Einschränkung des Teilnahmerechts für Beschuldigte an Einvernahmen weiterer Beschuldigter stark umstritten – mithin das “Herzstück der Revision”. Während Befürworter:innen der Einschränkung geltend machten, eine Einschränkung trage dazu bei, Delikte effizienter aufzuklären, sahen Gegner:innen in der Anpassung eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Der Nationalrat, welcher die Einschränkung von Beginn weg ablehnte, konnte sich in diesem Punkt schlussendlich durchsetzen (zur Debatte).

Unentgeltliche Rechtspflege – Nachzahlungspflicht

Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie (Art. 117 ZPO):
1. nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, und
2. ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.

Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst (Art. 118 Abs. 1 ZPO):
1. die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen;
2. die Befreiung von den Gerichtskosten;
3. die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin oder eines Rechtsbeistandes, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist.
Sie befreit jedoch nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei (Art. 118 Abs. 3 ZPO).

Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist zur Nachzahlung verpflichtet, falls sie innert 10 Jahren nach Abschluss des Verfahrens dazu in der Lage ist (Art. 123 ZPO).

Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 2C_316/2023 vom 3. Juli 2023 mit einem solchen Nachzahlungsanspruch auseinander gesetzt. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Mit Entscheid vom 9. Dezember 2013 auferlegte das Kantonsgericht Schwyz A die Gerichtskosten zu 2/3 mit CHF 533, sprach seinem unentgeltlichen Rechtsvertreter eine Entschädigung von CHF 500 zu und gewährte ihm die unentgeltliche Rechtspflege. Mit Mahnungen vom 22. März 2021 und vom 6. April 2021 setzte die Kantonsgerichtskasse A eine Frist zur Begleichung des offenen Betrages i.d.H. von CHF 1’033. A erklärte, er sei mittellos. Belege zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen reichte er – trotz entsprechender Aufforderung – nicht ein. A erhob im sodann eingeleiteten Betreibungsverfahren Rechtsvorschlag. Mit Verfügung vom 23. Mai 2023 wurde A durch den Kantonsgerichtspräsidenten zur Nachzahlung verpflichtet und der Rechtsvorschlag wurde beseitigt. Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen.

Die Gewährung von unentgeltlicher Rechtspflege bedeutet nicht, dass die Kosten durch den Staat getragen werden – es besteht vielmehr eine Rückzahlungsverpflichtung (Nachzahlungspflicht), falls die Verhältnisse dies erlauben.

Ausblick: wichtige Entscheide der RK-N stehen an

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) wird nächste Woche in wichtigen Dossiers Entscheide fällen (vgl. Sitzungsplanung):

Ausgewählte Traktanden:

Dossier Zivilprozessrecht (Verbandsklage und kollektiver Vergleich / “Sammelklage”; Curia Vista: 21.082): Am 24. Juni 2022 hatte die RK-N in ihrer Medienmitteilung festgehalten, die Botschaft des Bundesrates lasse zu viele Fragen offen, und es sei somit nicht möglich, bereits über den Handlungsbedarf im Bereich des Ausbaus der kollektiven Rechtsdurchsetzung zu entscheiden. Die RK-N wird voraussichtlich nächste Woche über das Eintreten auf die Vorlage entscheiden.

Dossier Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (“Projekt Justitia 4.0”; Curia Vista: 23.022): Die Vorlage bezweckt die Digitalisierung im Justizbereich: der digitale Wandel in der Schweizer Justiz in Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren soll vorangetrieben werden. Nächste Woche soll die Detailberatung aufgenommen werden.

Dossier Unternehmensnachfolge/Erbrecht (Curia Vista: 22.049: Nachdem der Ständerat am 15. Juni 2023 auf die Vorlage nicht eingetreten ist (vgl. Amtliches Bulletin; Hauptbegründung: die Unternehmensnachfolge erfolge regelmässig einvernehmlich, weshalb keine Regelung notwendig sei), befasst sich nächste Woche die RK-N als zuständige Kommission des Nationalrates mit der Vorlage.

Dossier Bauvertragsrecht (Curia Vista: 22.066): Die Vorlage bezweckt die Stärkung der Rechte von privaten Haus- und Stockwerkeigentümer:innen sowie von professionellen Bauherr:innen. Die RK-N wird nächste Woche die Eintretensdebatte fortführen.

Nachbarrecht: Wer ist Eigentümer:in einer Stützmauer?

Das Bundesgericht hat sich im Urteil 5A_665/2022 vom 4. April 2023 (zur Publikation vorgesehen) mit der Frage der Eigentümerschaft und der Unterhaltspflicht an einer Holzpalisadenwand auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beschwerdeführerin ist seit 2015 Eigentümerin des Grundstückes A. Bereits im Jahr 1988 wurde das tiefer liegende Nachbarsgrundstück B von der verstorbenen X erworben. An ihre Stelle traten ihre Erben als Beschwerdegegner in den Prozess ein.

Zwischen den beiden Grundstücken A und B befindet sich eine Böschung. Zur Sicherung der zwecks Raumgewinnung auf dem höher gelegenen Grundstück A vorgenommenen Aufschüttung wurde eine Holzpalisadenwand erstellt. Im Verlaufe der Jahre verschob sich die entsprechende Wand weiter nach unten auf das Grundstück B. Die Beschwerdeführerin hat sodann an der Holzpalisadenwand provisorisch Schaltafeln angebracht.

Mittels erstinstanzlicher Klage wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, die provisorischen Schaltafeln zu entfernen und das Grundstück B mittels Böschung oder einer neuen Stützmauer entlang der Parzellengrenze zu sichern. Diesen Entscheid focht die Beschwerdeführerin beim Obergericht an, jedoch ohne Erfolg.

Nun gelang sie mittels Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Begehren, die Klage der Eigentümer des Grundstückes B sei abzuweisen.

Stehen Vorrichtungen zur Abgrenzung zweier Grundstücke, wie Mauern, Hecken, Zäune, auf der Grenze, so wird Miteigentum der beiden Nachbarn vermutet (Art. 670 ZGB). Diese Vermutung lässt sich grundsätzlich auf zwei Arten widerlegen: durch Rechtsgeschäft zwischen den Nachbarn (z.B. Bestellung eines Überbaurechts) oder durch Nachweis entgegenstehenden Ortsgebrauchs i.S.v. Art. 5 Abs. 2 ZGB (E. 3.3.2).

Nach Art. 686 Abs. 1 ZGB sind die Kantone befugt, die Abstände festzulegen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind. Ausserdem bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen (Abs. 2). Es handelt sich hierbei um einen echten Rechtsetzungsvorbehalt i.S.v. Art. 5 Abs. 1 ZGB (E. 3.4).

Gemäss Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern gilt eine Stützmauer, welche auf der Grenze steht, als Bestandteil des Grundstücks, dessen Eigentümer sie erstellt hat. Kann dies nicht festgestellt werden, so wird Miteigentum beider Nachbarn angenommen (E. 3.5.1).

Die Holzpalisadenwand wurde unbestrittenermassen vom Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin erstellt. Ob diese seinerzeit an oder auf die Grundstückgrenze gestellt worden ist, spielt mit Bezug auf die Frage, wer Eigentümer:in ist, keine Rolle. Falls die Wand auf die Grenze gebaut worden ist, wurde der Rechtsvorgänger gestützt auf Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern Eigentümer (E. 4.2). Falls die Mauer lediglich an die Grenze gebaut worden ist, liegt sie ohnehin auf dem Grundstück A und somit im Eigentum der Beschwerdeführerin.

Schliesslich befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin betreffend Unterhaltspflicht auf Art. 741 Abs. 2 ZGB berufen kann. Das Bundesgericht verneint vorliegend die Anwendbarkeit, da die Bestimmung für Vorrichtungen, die zur Ausübung einer Dienstbarkeit gehören, gilt (E. 5).

Das Bundesgericht erachtete die Beschwerde in Zivilsachen als unzulässig und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden konnte.

Aus dem Bundeshaus: Investitionsschutz

Der Bundesrat hat am 10. Mai 2023 vom Vernehmlassungsergebins zu einem Investitionsprüfgesetz Kenntnis genommen (MM).

Die Vorlage geht auf die Motion 18.3021 Rieder «Schutz der Schweizer Wirtschaft durch Investitionskontrollen» zurück, welche den Bundesrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage für eine Investitionskontrolle ausländischer Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen zu schaffen.

Der Bundesrat hat die Motion zur Ablehnung empfohlen und sich auch bei der Eröffnung der Vernehmlassung weiterhin gegen die Einführung einer Investitionsprüfung ausgesprochen (Vgl. auch Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung).

Da der Vernehmlassungsentwurf nun insgesamt auf Ablehnung gestossen ist, hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage zu überarbeiten: Die Investitionsprüfung soll nur dann greifen, wenn ein ausländisch staatlich kontrollierter Investor ein inländisches Unternehmen übernimmt, das in einem besonders kritischen Bereich tätig ist, wie Rüstungsgüter, Stromnetze und -produktion oder Gesundheits- und Telekominfrastrukturen (MM). Der entsprechende Entwurf soll bis Ende 2023 vorliegen.

Für die strategischen Energieinfrastrukturanlagen sind die entsprechenden Arbeiten bereits fortgeschritten: Die parlamentarische Initiative 16.498 Badran «Unterstellung der strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft unter die Lex Koller» verlangt, dass strategische Infrastrukturen der Energiewirtschaft dem Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland unterstellt werden (vgl. Bericht und Entwurf der Kommission). Das Geschäft wird spätestens in der Frühjahrssession 2024 im Nationalrat beraten.