Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 23. August 2023 entschieden, die vom Parlament im Juni 2022 beschlossenen Änderungen der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) auf den 1. Januar 2024 in Kraft zu setzen. Davon ausgenommen sind drei Bestimmungen im Jugendstrafgesetz (JStG) und in der entsprechenden Prozessordnung (JStPO) (MM).
Ziel der Vorlage ist, die Praxistauglichkeit der StPO zu verbessern. Künftig muss die Staatsanwaltschaft beispielsweise in einem Strafbefehlsverfahren die beschuldigte Person immer einvernehmen, wenn zu erwarten ist, dass der Strafbefehl eine zu verbüssende Freiheitsstrafe zur Folge haben wird (Art. 352aStPO). Weiter kann im Strafbefehlsverfahren künftig über Zivilforderungen bis zu CHF 30’000 entschieden werden, sofern deren Beurteilung ohne weitere Beweiserhebungen möglich ist (Art. 353 Abs. 2 StPO).
Auch die Opferrechte werden ausgebaut: Beispielsweise können Opfer Urteile oder Strafbefehle gegen den Täter resp. die Täterin künftig unentgeltlich erhalten (Art. 117 Abs. 1 Bst. g StPO).
Im Rahmen der parlamentarischen Debatte war insbesondere die Einschränkung des Teilnahmerechts für Beschuldigte an Einvernahmen weiterer Beschuldigter stark umstritten – mithin das “Herzstück der Revision”. Während Befürworter:innen der Einschränkung geltend machten, eine Einschränkung trage dazu bei, Delikte effizienter aufzuklären, sahen Gegner:innen in der Anpassung eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Der Nationalrat, welcher die Einschränkung von Beginn weg ablehnte, konnte sich in diesem Punkt schlussendlich durchsetzen (zur Debatte).
Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 1C_122/2022 vom 11. Juli 2022 mit den möglichen Folgen eines rechtskräftigen Strafbefehls auseinandergesetzt.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2019 wurde ein Fahrzeuglenker mit einem Strafbefehl wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gesprochen. Der Lenker hatte, als eine Polizistin die Strasse via Fussgängerstreifen überqueren wollte, sein Auto erst mitten auf dem Fussgängerstreifen und nur eine Armlänge von der Polizistin entfernt zum Stillstand gebracht. Hätte er die gebotene Aufmerksamkeit und elementare Vorsicht eingehalten, so hätte er die Polizistin, die sogar eine Leuchtweste trug, frühzeitig sehen und anhalten können und müssen. Der Lenker erhob in der Folge Einsprache gegen den Strafbefehl, zog diese Einsprache indes wieder zurück, wodurch der Strafbefehl in Rechtskraft erwuchs.
Daraufhin nahm das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern (SVSA) das Administrativverfahren wieder auf und entzog dem Fahrzeugführer den Führerausweis für Motorfahrzeuge wegen einer schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften für die Dauer von drei Monaten. Gegen diese Verfügung erhob der Fahrzeugführer Beschwerde, welche die erste Instanz abwies. Der Lenker gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.
Im Einklang mit der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Administrativbehörde auch an einen nur auf Polizeiberichten beruhenden Sachverhalt eines Strafbefehls gebunden, wenn der Betroffene wusste oder voraussehen musste, dass neben dem Strafverfahren ein Administrativverfahren eröffnet wird. In diesem Fall müsse der Betroffene nach dem Grundsatz von Treu und Glauben allfällige Verteidigungsrechte und Beweisanträge bereits im Strafverfahren vorbringen und dort die nötigen Rechtsmittel ergreifen. Im vorliegenden Fall hatte die SVSA den Fahrzeugführer noch vor dessen Rückzug der Einsprache ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aufgrund des Vorfalls ein Administrativverfahren eröffnet werde, das einen Führerausweisentzug zur Folge haben könne. Zudem wurde der Fahrzeugführer darauf aufmerksam gemacht, dass allfällige Einwände oder Entlastungsargumente gegen den zur Last gelegten Sachverhalt unbedingt bereits im Strafverfahren vorzubringen seien.
Das Bundesgericht erachtete auch die Dauer des angeordneten Führerausweisentzugs für bundesrechtskonform. So handle es sich bei den Pflichten gemäss Art. 33 Abs. 2 SVG (Pflichten gegenüber Fussgängern) und Art. 6 Abs. 1 VRV (Verhalten gegenüber Fussgängern) um grundlegende Verkehrsregeln. Gemäss Art. 16c Abs. 2 Bst. a SVG wird der Führerausweis nach einer schweren Widerhandlung für mindestens drei Monate entzogen. Eine schwere Widerhandlung begeht insbesondere, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Eine grobe Verkehrsregelverletzung entspricht gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung einer schweren Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG. Mit den Vorbringen des Fahrzeugführers, wonach er relativ weit weg von einer Haltestelle des öffentlichen Verkehrs wohne und sich sein Golfklub rund 40km von seinem Wohnort entfernt befinde, verkennt der Fahrzeugführer laut Bundesgericht, dass es sich bei der dreimonatigen Entzugsdauer um eine Mindestentzugsdauer handelt. Im Übrigen habe der Fahrzeugführer seine diesbezüglichen Ausführungen nicht näher belegt.
Im Ergebnis wies das Bundesgericht die Beschwerde vollständig ab.
Ein Strafbefehl kann nicht nur Einfluss auf ein Administrativverfahren haben, sondern auch in einem allfälligen späteren Zivilprozess eine Rolle spielen. Wir empfehlen Ihnen den frühzeitigen Beizug einer Anwält:in. Kontaktieren Sie uns.