recht aktuell

Zuständigkeit Handelsgericht bei Vormerkung eines Mietverhältnisses

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_199/2022 vom 20. September 2022 mit der Vormerkung eines Mietverhältnisses im Grundbuch beschäftigt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: A (Klägerin) ist Mieterin von Geschäftsräumlichkeiten. Vermieterin (Beklagte) ist die Stiftung B. Der Mietvertrag wurde für eine feste Vertragsdauer von 10 Jahren abgeschlossen. Die Vermieterin hat sodann während der laufenden Mietdauer das Grundstück an eine AG (C) verkauft. Aus diesem Grund kündigte B das Mietverhältnis “ausserordentlich”. A hat diese Kündigung gestützt auf Art. 271 f. OR angefochten. Dieser Prozess ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden bundesgerichtlichen Verfahrens.

Parallel klagte A beim Handelsgericht des Kantons Zürich, der Mietvertrag sei als Vormerkung in das Grundbuch gemäss Art. 261b OR bzw. Art. 959 ZGB eintragen zu lassen. Das Handelsgericht ist auf die Klage nicht eingetreten.

Das Nichteintreten des Handelsgerichts ist auf Art. 243 Abs. 2 ZPO zurückzuführen. Gemäss dieser Norm findet im Bereich des Kündigungsschutzes das einfache Verfahren Anwendung. Das Handelsgericht ist sachlich bei Vorliegen des einfachen Verfahrens nicht zuständig, selbst wenn die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.

Streitig war in diesem Fall, ob eine Klage gestützt auf Art. 261b OR i.V.m. Art. 959 ZGB betreffend die grundbuchliche Vormerkung eines Mietverhältnisses den Kündigungsschutz betrifft.

Das Bundesgericht geht von einer weiten Auffassung des Begriffes „Kündigungsschutz“ aus. Entscheidend sei, ob das Gericht über die Beendigung eines Mietverhältnisses befinden müsse. Die realobligatorische wirkende Vormerkung diene dazu, die auf Art. 261 Abs. 2 lit. a OR gestützte Eigenbedarfskündigung der neuen Eigentümer:in zu verunmöglichen.

Das Bundesgerichts kommt zum Schluss, dass eine grundbuchliche Vormerkung somit durchaus als Massnahme des Kündigungsschutzes anzusehen sei, auch wenn die konkrete Beendigung des Mietverhältnisses anders als in anderen Fällen vorliegend nicht zentral war.

Zusammenfassend hat das Bundesgericht festgehalten, dass Streitigkeiten über die Vormerkung von Mietverhältnissen an Wohn- und Geschäftsräumen im Grundbuch unter den Begriff des “Kündigungsschutzes” fallen, weshalb das einfache Verfahren zur Anwendung gelange. Das Handelsgericht sei zurecht auf die Klage nicht eingetreten. Die Beschwerde wurde somit abgewiesen.

Assistenzbeitrag: Anpassung der Standardwerte

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Das Bundesgericht hat sich mit Medienmitteilung vom 28. September 2022 zum Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 mit den Standardwerten im Bereich «Erziehung und Kinderbetreuung» zur Festlegung des Assistenzbeitrags auseinandergesetzt.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Eine Mutter von zwei Kindern ist seit einem Unfall Paraplegikerin, weshalb sie eine Invalidenrente und Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit bei der Invalidenversicherung bezieht. Die Mutter ersuchte um eine Erhöhung des Assistenzbeitrages, welche allerdings vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich abgewiesen wurde.

Menschen, die eine Hilflosenentschädigung bei der Invalidenversicherung beziehen, können auch einen Assistenzbeitrag beantragen. Ein solcher wird für Hilfeleistungen Dritter ausgestellt, wenn Hilfe bei der Alltagsbewältigung in Bereichen wie der Haushaltsführung, Erziehung, Kinderbetreuung usw. benötigt wird. Der individuelle Hilfebedarf einer Person wird dabei mittels des standardisierten Abklärungsinstrumentes FAKT2 ermittelt. Dabei wird der gesamte Hilfebedarf für eine Person je nach Hilfsbedürftigkeit in einem konkreten Lebensbereich, durch standardisierte Minutenwerte festgelegt. Diese Vorgehensweise wurde vom Bundesgericht im Leitentscheid BGE 140 V 543 als geeignet erachtet.

Im Bereich der Erziehung und der Kinderbetreuung sieht das FAKT2 einen maximalen Hilfebedarf von 14 Stunden pro Woche vor. Bei diesem Betrag wird zwar berücksichtigt, welches Alter die Kinder haben, nicht berücksichtig werden allerdings die Anzahl der Kinder und die An- oder Abwesenheit eines Elternteils, was von der Beschwerdeführerin kritisiert wird. Sie ist alleinerziehend und muss die Betreuung von zwei Kindern übernehmen. Weiter hervorgebracht wird, dass nach der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die durchschnittliche Zeit für die Kinderbetreuung bei Frauen 23 und bei Männern 14.8 Stunden pro Woche betrage. Die im FAKT2 festgelegten Stundenwerte seien somit nicht sachgerecht und deshalb bundesrechtswidrig.

Das Bundesgericht hält fest, dass der Leitentscheid BGE 140 V 543 präzisiert werden soll. Die standardisierten Werte des FAKT2 im Bereich der Erziehung und Kinderbetreuung seien für die Bemessung ungeeignet und ihnen komme somit keine Beweiskraft mehr zu.

Das Bundesgericht heisst somit die Beschwerde teilweise gut. Das Urteil des Sozialversicherungsgericht und die Verfügungen der Invalidenstelle werden aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verfügung an die Invalidenstelle zurückzugewiesen.

Keine Verwahrung wegen Beteiligung an Al -Qaïda oder IS

picture of a prison

Mit Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022 und der Medienmitteilung vom 15. September 2022 hat sich das Bundesgericht mit der Verwahrung auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Mann wurde durch die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts im Juli 2021 unter anderem wegen eines Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen „Al -Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen verurteilt. Nach dieser Norm macht sich strafbar, wer auf dem Gebiet der Schweiz diesen Gruppierungen beitritt und diese unterstützt. Die Bundesanwaltschaft beantragte die Anordnung der Verwahrung, was abgewiesen wurde. Die Bundesanwaltschaft beantragte vorliegend, diese Abweisung sei aufzuheben.

Die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass entweder eine Anlasstat aus dem Strafkatalog oder eine andere Straftat mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren vorliegt. Da Art. 2 Abs. 1 des sogenannten „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ keine Katalogstraftat darstellt, kommt lediglich eine Einordnung unter die Generalklausel infrage. Dafür bedarf es allerdings einer schweren Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität. Dieser Punkt war im Urteil strittig.

Durch Auslegung der fraglichen Bestimmungen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass Art. 2 Abs. 1 des „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ dazu diene, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Dafür werden Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die im Vorfeld einer anderen Straftat erfolgen. Bei solchen Vorbereitungshandlungen läge gemäss Bundesgericht keine schwere Beeinträchtigung der psychischen, physischen und sexuellen Integrität vor.
Hinzu kämen strafrechtsdogmatische Überlegungen, da die Verwahrung als sichernde Massnahme nur als Ultima Ratio zur Anwendung gelange und somit sehr zurückhaltend zu bejahen ist. Es rechtfertige sich daher nicht, eine solch schwerwiegende Massnahme bei Vorbereitungshandlungen zu verhängen.

Abschliessend bedeutet dies, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung, wenn bloss eine Beteiligung an terroristischen Organisationen nachgewiesen werden kann, grundsätzlich nicht erfüllt sind.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.

Keine erleichterte Fusion bei indirekten Beteiligungsverhältnissen

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_110/2022 vom 16. August 2022 mit der erleichterten Fusion bei indirekten Beteiligungsverhältnissen auseinandergesetzt.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Die Beschwerdeführerin ist eine AG (A) mit einem einzigen Aktionär (B). B besitzt zudem 60 % der Stammanteile einer GmbH (C). Die restlichen 40 % werden von einer zweiten GmbH (D) gehalten. B ist an D mit einem Anteil von 91 % beteiligt.

Am 31. Mai 2021 meldete Gesellschafter B beim Handelsregisteramt des Kantons Zug die Fusion gestützt auf Art. 23 f. FusG der A AG mit der C GmbH an. Das Handelsregister verweigerte die Eintragung mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine erleichterte Fusion seien vorliegend nicht gegeben. Insbesondere sei die Gesetzesnorm bei indirekten Beteiligungsverhältnissen nicht anwendbar.

Art. 23 Abs. 1 FusG legt fest, dass eine erleichterte Fusion in zwei Fällen möglich ist. Einerseits, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft alle Anteile der übertragenden Kapitalgesellschaft besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Mutter-Tochter-Fusion). Andererseits, wenn jemand alle Anteile der an der Fusion beteiligten Kapitalgesellschaften besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Schwesterfusion). Vorliegend war der zweite Fall einschlägig.

Problematisch war dabei, dass B nicht vollständig an der C GmbH beteiligt war, sondern mit 40 % nur mittelbar durch seine Beteiligung an der Gesellschaft D. Es stellte sich somit die Frage, ob die erleichterte Fusion auch in solchen Fällen durchgeführt werden kann.

Das Bundesgericht hält fest, dass es sowohl für die enge Auslegung von Art. 23 FusG als auch für die Anwendung der Norm bei Vorliegen indirekter Beteiligungsverhältnisse «plausible Gründe» gibt. Gemäss Auffassung des Bundesgerichts hat sich der Gesetzgeber jedoch bewusst für eine abschliessende Aufzählung der Voraussetzungen für die erleichterte Fusion ausgesprochen. Dies bestätige bereits ein Blick in die Vernehmlassungsunterlagen. Auch der Wortlaut des Gesetzestextes spreche dafür, da an den Besitz der Anteile und nicht an der Kontrolle der Gesellschaft angeknüpft werde. Somit liegt gemäss Bundesgericht kein qualifiziertes Schweigen vor und eine Lückenfüllung durch die Rechtsprechung ist nicht vorzunehmen.

Im Ergebnis ist Art. 23 f. FusG auf indirekte Beteiligungsverhältnisse nicht anwendbar. Das Bundesgericht wies die Beschwerde somit ab.

Digitalisierung des Notariats

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Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat an seiner gestrigen Sitzung die Detailberatung des Entwurfs für ein Notariatsdigitalisierungsgesetz (21.083) fortgesetzt.

Die Vorlage sieht vor, dass Urkundspersonen das Original der öffentlichen Urkunde (oft auch Urschrift genannt) künftig elektronisch erstellen können. Dies ist beispielsweise notwendig, um digitale Prozesse wie eine digitale Gesellschaftsgründung ohne Trägerwandel zu ermöglichen.

Im Fokus der gestrigen Diskussion stand die Frage, ob der Betrieb des elektronischen Urkundenregisters, in welchem die elektronischen Urkunden gespeichert und verwaltet werden sollen, dezentral oder zentral erfolgen soll. Die RK-S hat sich dem Vorschlag des Bundesrates angeschlossen, welcher eine zentrale Lösung vorsieht. Das Geschäft wird voraussichtlich in der Wintersession im Rat behandelt (Medienmitteilung der RK-S).

Entlassung der Beistandsperson aufgrund eines Interessenkonflikts

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 5A_839/2021 vom 3. August 2022 mit einem Beistandswechsel auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2015 errichtete die KESB der Stadt Zürich eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB für die Verbeiständete und ernannte eine Privatperson zur Beiständin. Im Jahr 2017 beantragte die Schwester der Verbeiständeten insbesondere, dass die Beiständin unverzüglich aus ihrem Amt zu entlassen sei. Die Beschwerde der Schwester der Verbeiständeten wurde von beiden Vorinstanzen gutgeheissen. Die Beiständin gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.

Die KESB entlässt die Beistandsperson gemäss Art. 423 Abs. 1 ZGB, wenn die Eignung für die Aufgabe nicht mehr besteht (Ziff. 1) oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt (Ziff. 2). Art. 423 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB setzt laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein Fehlverhalten der Beiständin voraus, sondern lediglich eine abstrakte Gefährdung der Interessen der betroffenen Person. Für die Entlassung aus wichtigem Grund sei eine Gefährdung der Interessen bzw. des Wohls der betroffenen Person zu verlangen. Der wichtige Grund setze ein der Beiständin zuzuschreibendes Handeln oder Unterlassen voraus, das in schwerwiegender Weise eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der erwachsenenschutzrechtlichen Tätigkeit darstelle. Dazu zählten Ursachen wie etwa Amtsmissbrauch oder Rollenkonflikte.

Art. 416 ZGB verlangt für bestimmte Geschäfte, die eine Beistandsperson in Vertretung der betroffenen Person vornimmt, die Zustimmung der KESB. Das Zustimmungserfordernis ist nicht absolut. Die Zustimmung der KESB ist laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn die verbeiständete Person ihr Einverständnis zu diesen Handlungen gegeben hat, diesbezüglich urteilsfähig ist und mit der Errichtung der Beistandschaft die KESB ihr die entsprechende Handlungsfähigkeit nicht entzogen hat (vgl. Art. 416 Abs. 2 ZGB). Immer der Zustimmung der KESB bedürfen Verträge zwischen der Beiständin und der betroffenen Person, ausser diese erteilt einen unentgeltlichen Auftrag (Art. 416 Abs. 3 ZGB).

Vorliegend bestand laut den Vorinstanzen und der Schwester der Verbeiständeten insbesondere ein Interessenkonflikt. So war die Beiständin bis vor kurzem Stiftungsrätin einer von der Verbeiständeten als Stifterin gegründeten Stiftung, wobei der Sohn der Beiständin immer noch Mitglied des Stiftungsrates ist. Die Beiständin hatte unbestrittenermassen sehr grosse Geldbeträge aus dem Vermögen der Verbeiständeten an diese Stiftung überwiesen. Ebenfalls unbestritten war die Unfähigkeit der Verbeiständeten, Bedeutung und Tragweite von Auftragsgeschäften im Sinne von Art. 394 OR erkennen zu können. Laut Bundesgericht bestand deswegen ein offenkundiger Interessenkonflikt. Der Einwand der Beiständin, die KESB habe die Transaktionen im Zuge der vorbehaltslosen Genehmigung der von ihr erstellten Rechenschaftsberichte genehmigt, ändere daran nichts: So entfallen bei Interessenkonflikten von Gesetzes wegen die Befugnisse der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit (Art. 403 Abs. 2 ZGB). Eine allfällige Zustimmung der KESB vermag die fehlende Vertretungsmacht der Beiständin beim Abschluss des Rechtsgeschäfts laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zu heilen.

Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht die Entlassung der Beiständin aufgrund des bestehenden Interessenkonflikts und weist die Beschwerde der Beiständin ab.

Die Voraussetzungen für eine Kindes- oder Erwachsenenschutzmassnahme, die Rechte und Pflichten der Mandatsführenden sowie die Zuständigkeiten und das Verfahren sind gesetzlich geregelt. Bei Fragen unterstützen wir Sie gerne.