recht aktuell

Assistenzbeitrag: Anpassung der Standardwerte

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Das Bundesgericht hat sich mit Medienmitteilung vom 28. September 2022 zum Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 mit den Standardwerten im Bereich «Erziehung und Kinderbetreuung» zur Festlegung des Assistenzbeitrags auseinandergesetzt.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Eine Mutter von zwei Kindern ist seit einem Unfall Paraplegikerin, weshalb sie eine Invalidenrente und Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit bei der Invalidenversicherung bezieht. Die Mutter ersuchte um eine Erhöhung des Assistenzbeitrages, welche allerdings vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich abgewiesen wurde.

Menschen, die eine Hilflosenentschädigung bei der Invalidenversicherung beziehen, können auch einen Assistenzbeitrag beantragen. Ein solcher wird für Hilfeleistungen Dritter ausgestellt, wenn Hilfe bei der Alltagsbewältigung in Bereichen wie der Haushaltsführung, Erziehung, Kinderbetreuung usw. benötigt wird. Der individuelle Hilfebedarf einer Person wird dabei mittels des standardisierten Abklärungsinstrumentes FAKT2 ermittelt. Dabei wird der gesamte Hilfebedarf für eine Person je nach Hilfsbedürftigkeit in einem konkreten Lebensbereich, durch standardisierte Minutenwerte festgelegt. Diese Vorgehensweise wurde vom Bundesgericht im Leitentscheid BGE 140 V 543 als geeignet erachtet.

Im Bereich der Erziehung und der Kinderbetreuung sieht das FAKT2 einen maximalen Hilfebedarf von 14 Stunden pro Woche vor. Bei diesem Betrag wird zwar berücksichtigt, welches Alter die Kinder haben, nicht berücksichtig werden allerdings die Anzahl der Kinder und die An- oder Abwesenheit eines Elternteils, was von der Beschwerdeführerin kritisiert wird. Sie ist alleinerziehend und muss die Betreuung von zwei Kindern übernehmen. Weiter hervorgebracht wird, dass nach der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die durchschnittliche Zeit für die Kinderbetreuung bei Frauen 23 und bei Männern 14.8 Stunden pro Woche betrage. Die im FAKT2 festgelegten Stundenwerte seien somit nicht sachgerecht und deshalb bundesrechtswidrig.

Das Bundesgericht hält fest, dass der Leitentscheid BGE 140 V 543 präzisiert werden soll. Die standardisierten Werte des FAKT2 im Bereich der Erziehung und Kinderbetreuung seien für die Bemessung ungeeignet und ihnen komme somit keine Beweiskraft mehr zu.

Das Bundesgericht heisst somit die Beschwerde teilweise gut. Das Urteil des Sozialversicherungsgericht und die Verfügungen der Invalidenstelle werden aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verfügung an die Invalidenstelle zurückzugewiesen.

Keine Verwahrung wegen Beteiligung an Al -Qaïda oder IS

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Mit Urteil 6B_57/2022 vom 19. August 2022 und der Medienmitteilung vom 15. September 2022 hat sich das Bundesgericht mit der Verwahrung auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Mann wurde durch die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts im Juli 2021 unter anderem wegen eines Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen „Al -Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen verurteilt. Nach dieser Norm macht sich strafbar, wer auf dem Gebiet der Schweiz diesen Gruppierungen beitritt und diese unterstützt. Die Bundesanwaltschaft beantragte die Anordnung der Verwahrung, was abgewiesen wurde. Die Bundesanwaltschaft beantragte vorliegend, diese Abweisung sei aufzuheben.

Die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass entweder eine Anlasstat aus dem Strafkatalog oder eine andere Straftat mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren vorliegt. Da Art. 2 Abs. 1 des sogenannten „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ keine Katalogstraftat darstellt, kommt lediglich eine Einordnung unter die Generalklausel infrage. Dafür bedarf es allerdings einer schweren Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität. Dieser Punkt war im Urteil strittig.

Durch Auslegung der fraglichen Bestimmungen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass Art. 2 Abs. 1 des „Al-Qaïda/IS-Gesetz“ dazu diene, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Dafür werden Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die im Vorfeld einer anderen Straftat erfolgen. Bei solchen Vorbereitungshandlungen läge gemäss Bundesgericht keine schwere Beeinträchtigung der psychischen, physischen und sexuellen Integrität vor.
Hinzu kämen strafrechtsdogmatische Überlegungen, da die Verwahrung als sichernde Massnahme nur als Ultima Ratio zur Anwendung gelange und somit sehr zurückhaltend zu bejahen ist. Es rechtfertige sich daher nicht, eine solch schwerwiegende Massnahme bei Vorbereitungshandlungen zu verhängen.

Abschliessend bedeutet dies, dass die Voraussetzungen für eine Verwahrung, wenn bloss eine Beteiligung an terroristischen Organisationen nachgewiesen werden kann, grundsätzlich nicht erfüllt sind.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.

Keine erleichterte Fusion bei indirekten Beteiligungsverhältnissen

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_110/2022 vom 16. August 2022 mit der erleichterten Fusion bei indirekten Beteiligungsverhältnissen auseinandergesetzt.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Die Beschwerdeführerin ist eine AG (A) mit einem einzigen Aktionär (B). B besitzt zudem 60 % der Stammanteile einer GmbH (C). Die restlichen 40 % werden von einer zweiten GmbH (D) gehalten. B ist an D mit einem Anteil von 91 % beteiligt.

Am 31. Mai 2021 meldete Gesellschafter B beim Handelsregisteramt des Kantons Zug die Fusion gestützt auf Art. 23 f. FusG der A AG mit der C GmbH an. Das Handelsregister verweigerte die Eintragung mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine erleichterte Fusion seien vorliegend nicht gegeben. Insbesondere sei die Gesetzesnorm bei indirekten Beteiligungsverhältnissen nicht anwendbar.

Art. 23 Abs. 1 FusG legt fest, dass eine erleichterte Fusion in zwei Fällen möglich ist. Einerseits, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft alle Anteile der übertragenden Kapitalgesellschaft besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Mutter-Tochter-Fusion). Andererseits, wenn jemand alle Anteile der an der Fusion beteiligten Kapitalgesellschaften besitzt, die ein Stimmrecht gewähren (sog. Schwesterfusion). Vorliegend war der zweite Fall einschlägig.

Problematisch war dabei, dass B nicht vollständig an der C GmbH beteiligt war, sondern mit 40 % nur mittelbar durch seine Beteiligung an der Gesellschaft D. Es stellte sich somit die Frage, ob die erleichterte Fusion auch in solchen Fällen durchgeführt werden kann.

Das Bundesgericht hält fest, dass es sowohl für die enge Auslegung von Art. 23 FusG als auch für die Anwendung der Norm bei Vorliegen indirekter Beteiligungsverhältnisse «plausible Gründe» gibt. Gemäss Auffassung des Bundesgerichts hat sich der Gesetzgeber jedoch bewusst für eine abschliessende Aufzählung der Voraussetzungen für die erleichterte Fusion ausgesprochen. Dies bestätige bereits ein Blick in die Vernehmlassungsunterlagen. Auch der Wortlaut des Gesetzestextes spreche dafür, da an den Besitz der Anteile und nicht an der Kontrolle der Gesellschaft angeknüpft werde. Somit liegt gemäss Bundesgericht kein qualifiziertes Schweigen vor und eine Lückenfüllung durch die Rechtsprechung ist nicht vorzunehmen.

Im Ergebnis ist Art. 23 f. FusG auf indirekte Beteiligungsverhältnisse nicht anwendbar. Das Bundesgericht wies die Beschwerde somit ab.

Digitalisierung des Notariats

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Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat an seiner gestrigen Sitzung die Detailberatung des Entwurfs für ein Notariatsdigitalisierungsgesetz (21.083) fortgesetzt.

Die Vorlage sieht vor, dass Urkundspersonen das Original der öffentlichen Urkunde (oft auch Urschrift genannt) künftig elektronisch erstellen können. Dies ist beispielsweise notwendig, um digitale Prozesse wie eine digitale Gesellschaftsgründung ohne Trägerwandel zu ermöglichen.

Im Fokus der gestrigen Diskussion stand die Frage, ob der Betrieb des elektronischen Urkundenregisters, in welchem die elektronischen Urkunden gespeichert und verwaltet werden sollen, dezentral oder zentral erfolgen soll. Die RK-S hat sich dem Vorschlag des Bundesrates angeschlossen, welcher eine zentrale Lösung vorsieht. Das Geschäft wird voraussichtlich in der Wintersession im Rat behandelt (Medienmitteilung der RK-S).

Entlassung der Beistandsperson aufgrund eines Interessenkonflikts

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 5A_839/2021 vom 3. August 2022 mit einem Beistandswechsel auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2015 errichtete die KESB der Stadt Zürich eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB für die Verbeiständete und ernannte eine Privatperson zur Beiständin. Im Jahr 2017 beantragte die Schwester der Verbeiständeten insbesondere, dass die Beiständin unverzüglich aus ihrem Amt zu entlassen sei. Die Beschwerde der Schwester der Verbeiständeten wurde von beiden Vorinstanzen gutgeheissen. Die Beiständin gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.

Die KESB entlässt die Beistandsperson gemäss Art. 423 Abs. 1 ZGB, wenn die Eignung für die Aufgabe nicht mehr besteht (Ziff. 1) oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt (Ziff. 2). Art. 423 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB setzt laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein Fehlverhalten der Beiständin voraus, sondern lediglich eine abstrakte Gefährdung der Interessen der betroffenen Person. Für die Entlassung aus wichtigem Grund sei eine Gefährdung der Interessen bzw. des Wohls der betroffenen Person zu verlangen. Der wichtige Grund setze ein der Beiständin zuzuschreibendes Handeln oder Unterlassen voraus, das in schwerwiegender Weise eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der erwachsenenschutzrechtlichen Tätigkeit darstelle. Dazu zählten Ursachen wie etwa Amtsmissbrauch oder Rollenkonflikte.

Art. 416 ZGB verlangt für bestimmte Geschäfte, die eine Beistandsperson in Vertretung der betroffenen Person vornimmt, die Zustimmung der KESB. Das Zustimmungserfordernis ist nicht absolut. Die Zustimmung der KESB ist laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn die verbeiständete Person ihr Einverständnis zu diesen Handlungen gegeben hat, diesbezüglich urteilsfähig ist und mit der Errichtung der Beistandschaft die KESB ihr die entsprechende Handlungsfähigkeit nicht entzogen hat (vgl. Art. 416 Abs. 2 ZGB). Immer der Zustimmung der KESB bedürfen Verträge zwischen der Beiständin und der betroffenen Person, ausser diese erteilt einen unentgeltlichen Auftrag (Art. 416 Abs. 3 ZGB).

Vorliegend bestand laut den Vorinstanzen und der Schwester der Verbeiständeten insbesondere ein Interessenkonflikt. So war die Beiständin bis vor kurzem Stiftungsrätin einer von der Verbeiständeten als Stifterin gegründeten Stiftung, wobei der Sohn der Beiständin immer noch Mitglied des Stiftungsrates ist. Die Beiständin hatte unbestrittenermassen sehr grosse Geldbeträge aus dem Vermögen der Verbeiständeten an diese Stiftung überwiesen. Ebenfalls unbestritten war die Unfähigkeit der Verbeiständeten, Bedeutung und Tragweite von Auftragsgeschäften im Sinne von Art. 394 OR erkennen zu können. Laut Bundesgericht bestand deswegen ein offenkundiger Interessenkonflikt. Der Einwand der Beiständin, die KESB habe die Transaktionen im Zuge der vorbehaltslosen Genehmigung der von ihr erstellten Rechenschaftsberichte genehmigt, ändere daran nichts: So entfallen bei Interessenkonflikten von Gesetzes wegen die Befugnisse der Beiständin in der entsprechenden Angelegenheit (Art. 403 Abs. 2 ZGB). Eine allfällige Zustimmung der KESB vermag die fehlende Vertretungsmacht der Beiständin beim Abschluss des Rechtsgeschäfts laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zu heilen.

Im Ergebnis bestätigt das Bundesgericht die Entlassung der Beiständin aufgrund des bestehenden Interessenkonflikts und weist die Beschwerde der Beiständin ab.

Die Voraussetzungen für eine Kindes- oder Erwachsenenschutzmassnahme, die Rechte und Pflichten der Mandatsführenden sowie die Zuständigkeiten und das Verfahren sind gesetzlich geregelt. Bei Fragen unterstützen wir Sie gerne.

Leihmutterschaft – Eintragung ins Personenstandsregister

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Das Bundesgericht hat sich mit Medienmitteilung vom 19. August 2022 zu seinem Urteil 5A_32/2021 vom 1. Juli 2022 mit der Eintragung von Wunscheltern ins schweizerische Personenstandsregister bei Leihmutterschaft auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein in der Schweiz wohnhaftes Ehepaar hatte in Georgien einen Leihmutterschaftsvertrag mit der Leihmutter und einer Eizellenspenderin abgeschlossen. Die Samenspende stammte vom Ehemann. In der Geburtsurkunde wurden nach georgischem Recht die Wunscheltern automatisch als Vater und Mutter des Kindes eingetragen. Die Wunscheltern beantragten kurz nach der Geburt des Kindes im Jahr 2019 in der Schweiz die Eintragung der Wunscheltern als Eltern gestützt auf die in Georgien ausgestellte Geburtsurkunde.

Entgegen den Angaben gemäss Geburtsurkunde trug das Zivilstandesamt die Leihmutter als einzigen Elternteil ein, mit georgischer Staatsangehörigkeit des Kindes. Gegen die Eintragungsverfügung erhoben die Wunscheltern erfolgreich Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), handelnd durch das Bundesamt für Justiz (BJ), gelangte in der Folge mit Beschwerde ans Bundesgericht.

Da es sich vorliegend nicht um eine ausländische Entscheidung, sondern um eine ausländische Geburtsurkunde handelt, stellt sich im Rahmen der Anerkennung die Frage nach deren Vereinbarkeit mit dem schweizerischen «Ordre public» nicht. Vielmehr stellt sich laut Bundesgericht die Frage nach dem in der Sache massgebenden Recht.

Gemäss Art. 68 Abs. 1 IPRG unterstehen die Entstehung des Kindesverhältnisses sowie dessen Feststellung oder Anfechtung dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist als gewöhnlicher Aufenthaltsort des Kindes der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen zu verstehen. Meistens falle der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes im massgeblichen Zeitpunkt mit dem Lebensmittelpunkt zumindest eines Elternteils zusammen. Bei Neugeborenen seien naturgemäss die familiären Bindungen zum betreuenden Elternteil als Indiz des gewöhnlichen Aufenthalts entscheidend; die Bindungen der Mutter an ein Land erfassten regelmässig auch das Kind. Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist der Zeitpunkt der Geburt massgebend (Art. 69 Abs. 1 IPRG). Zweck der einzigen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt sei die Anknüpfung an jene Rechts- und Sozialsphäre, in der das Kind und die Eltern tatsächlich leben würden, was auch für das Leihmutterschaftskind und die betreuenden Wunscheltern gelte.

Vorliegend ging das Bundesgericht davon aus, dass der Aufenthalt der Wunscheltern in Georgien lediglich vorübergehender Natur war und nicht ausschlaggebend sei. Vielmehr befinde sich der gewöhnliche Aufenthaltsort vorliegend in der Schweiz. So hatten die Wunscheltern bereits im Zeitpunkt der Geburt geplant, mit dem Kind in die Schweiz zurückzukehren. Demzufolge ist laut Bundesgericht Schweizer Recht anwendbar.

Gemäss Art. 252 Abs. 1 ZGB gilt als rechtliche Mutter des Kindes die gebärende Frau und somit die Leihmutter. In Bezug auf den (Wunsch-)Vater und auch biologischen Vater des Kindes ist fraglich, ob die Anerkennung im Rahmen des Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrags als Vaterschaftsanerkennung nach Schweizer Recht gewertet werden kann. Gemäss Art. 260 Abs. 1 ZGB kann der Vater das Kind anerkennen, wenn das Kindesverhältnis nur zur Mutter besteht. Nach den Regeln des ZGB kann diese Anerkennung jederzeit zu Lebzeiten des Kindes erfolgen, aber auch vor der Geburt, jedoch nicht vor der Zeugung. Da der Vertrag vorliegend vor der Zeugung abgeschlossen wurde, ist die Vaterschaftsanerkennung gemäss Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrag laut Bundesgericht ungültig. Der (Wunsch-)Vater hat die Vaterschaftsanerkennung gestützt auf Art. 260 ZGB zur beantragen und kann sich hierfür auch nicht auf die georgische Geburtsurkunde stützen. Ob eine Vaterschaftsanerkennung im Rahmen eines im Ausland zwecks Umgehung des hiesigen Leihmutterschaftsverbots abgeschlossenen Reproduktions- und Leihmutterschaftsvertrags gültig ist, liess das Bundesgericht offen.

In der Folge könne die Wunschmutter das Kind gestützt auf Art. 264c ZGB adoptieren. So darf eine Person das Kind adoptieren, mit dessen Vater sie verheiratet ist und das Paar seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führt (Art. 264c Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 ZGB). Vorliegend bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Stiefkindadoption nicht durchführbar wäre.

Im Ergebnis könne die Geburt des Kindes in das schweizerische Personenstandsregister eingetragen werden, bevor die Kindesverhältnisse zu den Wunscheltern hergestellt seien. Im weiteren genügt die Kindesanerkennung durch den (Wunsch-)Vater, damit das Kind die schweizerische Staatsbürgerschaft erhält. Aus Schweizer Recht ergibt sich weiter, dass das Kind vorerst mit dem Namen der Leihmutter einzutragen ist.

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des BJ somit gut.

Das Bundesgericht hat sich erst kürzlich mit Urteil 5A_545/2020 vom 7. Februar 2022 mit einem Leihmutterschaftsfall befasst (vgl. dazu (https://www.bm-recht.ch/recht-aktuell/2022/04/01/leihmutterschaft-eintragung-im-personenstandsregister/). Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz verboten (Art. 119 Abs. 2 BV). In der Praxis stellt sich regelmässig die Frage, wie mit Personen mit Wohnsitz in der Schweiz umgegangen werden soll, wenn sie im Ausland eine Leihmutter in Anspruch genommen haben. Der Bundesrat hat sich mit Postulatsbericht vom 29. November 2013 zur Situation geäussert. In seinem Bericht zum Reformbedarf im Abstammungsrecht vom 17. Dezember 2021 kommt der Bundesrat zum Schluss, dass das Schweizer Abstammungsrecht nicht mehr “in jeder Hinsicht die gesellschaftliche Realität abdeckt”.