Ergänzungsleistungen: Kürzung infolge Aufnahme einer Mitbewohnerin

Das Bundesgericht hat sich im Urteil 9C_326/2022 vom 23. November 2022 mit dem Umfang von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV im Rahmen eines Mietverhältnisses befasst.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde:

Der Beschwerdegegner bezieht Ergänzungsleistungen (EL) zu seiner Invalidenrente. Im April 2021 berechnete das Amt für Sozialbeiträge des Kantons Basel-Stadt (ABS) den EL-Anspruch des Beschwerdegegners neu und verlangte in diesem Zusammenhang eine Rückzahlung in der Höhe von CHF 7’543. Grund dafür war die Tatsache, dass eine weitere Person als Mitbewohnerin im Haushalt des Beschwerdegegners lebte, weshalb die Mietkosten hälftig auf den Beschwerdegegner und hälftig auf die Mitbewohnerin zu teilen seien. Der bisher ausbezahlte Beitrag berücksichtigte den gesamten Mietzins und war dementsprechend gemäss ABS zu hoch.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdegegner Einsprache, welche teilweise gutgeheissen wurde. Die Auffassung über die aufzuteilenden Mietzinsen blieb jedoch bestehen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hat die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid gutgeheissen. Das ABS ist mittels Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgerichts gelangt.

Das Bundesgericht befasste sich mit der Frage, ob die Vorinstanz durch die Gutheissung der Beschwerde gegen Art. 16c ELV verstossen habe, in dem sie dem EL-Empfänger den gesamten Mietzins zugesprochen habe.

Ergänzungsleistungen werden nach Art. 9 Abs. 1 ELG grundsätzlich für anerkannte Ausgaben, die die anrechenbaren Einnahmen übersteigen, ausbezahlt. Zu diesen Ausgaben zählt auch der Mietzins einer Wohnung dazu. Art. 16c Abs. 1 ELV legt allerdings fest, dass der Mietzinsanteil der nicht in die EL-Berechnung berücksichtigte Personen bei der Höhe der Ergänzungsleistungen ausser Acht gelassen werden muss. Der Mietzins muss dabei zu gleichen Teilen durch die im gleichen Haushalt lebenden Personen getragen werden (Art. 16c Abs. 2 ELV). Der Grund dafür liege in der nicht gewollten indirekten Mitfinanzierung von Personen, die nicht in der EL-Berechnung umfasst seien.

Von dieser Regel können Ausnahmen bestehen, nämlich dann, wenn die EL-berechtige Person den grössten Teil der Wohnung nutzt oder wenn das gemeinsame Wohnen aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht, wie z. B. einer Unterstützungspflicht erfolgt (vgl. BGE 105 V 271). Das Vorliegen von Ausnahmen wurde entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners verneint. Das altruistische Motiv des Beschwerdegegners für die Aufnahme der Person in der eigenen Wohnung reicht für eine sittliche Pflicht nicht aus. Auch unbeachtlich ist, dass die fragliche Person gleichzeitig andere Wohnungen gemietet hat, in denen sie aber effektiv nicht gelebt hat. Es wird in diesem Rahmen nämlich bloss auf das faktische und gemeinsame «Bewohnen» abgestellt.

Folglich lag keine von der Praxis anerkannte Ausnahme vor und die Beschwerde wurde mit Hinblick auf die Aufteilung des Mietzinses vom Bundesgericht gutgeheissen.

Assistenzbeitrag: Anpassung der Standardwerte

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Das Bundesgericht hat sich mit Medienmitteilung vom 28. September 2022 zum Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 mit den Standardwerten im Bereich «Erziehung und Kinderbetreuung» zur Festlegung des Assistenzbeitrags auseinandergesetzt.

Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde: Eine Mutter von zwei Kindern ist seit einem Unfall Paraplegikerin, weshalb sie eine Invalidenrente und Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit bei der Invalidenversicherung bezieht. Die Mutter ersuchte um eine Erhöhung des Assistenzbeitrages, welche allerdings vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich abgewiesen wurde.

Menschen, die eine Hilflosenentschädigung bei der Invalidenversicherung beziehen, können auch einen Assistenzbeitrag beantragen. Ein solcher wird für Hilfeleistungen Dritter ausgestellt, wenn Hilfe bei der Alltagsbewältigung in Bereichen wie der Haushaltsführung, Erziehung, Kinderbetreuung usw. benötigt wird. Der individuelle Hilfebedarf einer Person wird dabei mittels des standardisierten Abklärungsinstrumentes FAKT2 ermittelt. Dabei wird der gesamte Hilfebedarf für eine Person je nach Hilfsbedürftigkeit in einem konkreten Lebensbereich, durch standardisierte Minutenwerte festgelegt. Diese Vorgehensweise wurde vom Bundesgericht im Leitentscheid BGE 140 V 543 als geeignet erachtet.

Im Bereich der Erziehung und der Kinderbetreuung sieht das FAKT2 einen maximalen Hilfebedarf von 14 Stunden pro Woche vor. Bei diesem Betrag wird zwar berücksichtigt, welches Alter die Kinder haben, nicht berücksichtig werden allerdings die Anzahl der Kinder und die An- oder Abwesenheit eines Elternteils, was von der Beschwerdeführerin kritisiert wird. Sie ist alleinerziehend und muss die Betreuung von zwei Kindern übernehmen. Weiter hervorgebracht wird, dass nach der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) die durchschnittliche Zeit für die Kinderbetreuung bei Frauen 23 und bei Männern 14.8 Stunden pro Woche betrage. Die im FAKT2 festgelegten Stundenwerte seien somit nicht sachgerecht und deshalb bundesrechtswidrig.

Das Bundesgericht hält fest, dass der Leitentscheid BGE 140 V 543 präzisiert werden soll. Die standardisierten Werte des FAKT2 im Bereich der Erziehung und Kinderbetreuung seien für die Bemessung ungeeignet und ihnen komme somit keine Beweiskraft mehr zu.

Das Bundesgericht heisst somit die Beschwerde teilweise gut. Das Urteil des Sozialversicherungsgericht und die Verfügungen der Invalidenstelle werden aufgehoben und die Sache wird zur neuen Verfügung an die Invalidenstelle zurückzugewiesen.