
Ausblick: wichtige Entscheide der RK-N stehen an
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) wird nächste Woche in wichtigen Dossiers Entscheide fällen (vgl. Sitzungsplanung):
Ausgewählte Traktanden:
Dossier Zivilprozessrecht (Verbandsklage und kollektiver Vergleich / “Sammelklage”; Curia Vista: 21.082): Am 24. Juni 2022 hatte die RK-N in ihrer Medienmitteilung festgehalten, die Botschaft des Bundesrates lasse zu viele Fragen offen, und es sei somit nicht möglich, bereits über den Handlungsbedarf im Bereich des Ausbaus der kollektiven Rechtsdurchsetzung zu entscheiden. Die RK-N wird voraussichtlich nächste Woche über das Eintreten auf die Vorlage entscheiden.
Dossier Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (“Projekt Justitia 4.0”; Curia Vista: 23.022): Die Vorlage bezweckt die Digitalisierung im Justizbereich: der digitale Wandel in der Schweizer Justiz in Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren soll vorangetrieben werden. Nächste Woche soll die Detailberatung aufgenommen werden.
Dossier Unternehmensnachfolge/Erbrecht (Curia Vista: 22.049: Nachdem der Ständerat am 15. Juni 2023 auf die Vorlage nicht eingetreten ist (vgl. Amtliches Bulletin; Hauptbegründung: die Unternehmensnachfolge erfolge regelmässig einvernehmlich, weshalb keine Regelung notwendig sei), befasst sich nächste Woche die RK-N als zuständige Kommission des Nationalrates mit der Vorlage.
Dossier Bauvertragsrecht (Curia Vista: 22.066): Die Vorlage bezweckt die Stärkung der Rechte von privaten Haus- und Stockwerkeigentümer:innen sowie von professionellen Bauherr:innen. Die RK-N wird nächste Woche die Eintretensdebatte fortführen.
Nachbarrecht: Wer ist Eigentümer:in einer Stützmauer?
Das Bundesgericht hat sich im Urteil 5A_665/2022 vom 4. April 2023 (zur Publikation vorgesehen) mit der Frage der Eigentümerschaft und der Unterhaltspflicht an einer Holzpalisadenwand auseinandergesetzt.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführerin ist seit 2015 Eigentümerin des Grundstückes A. Bereits im Jahr 1988 wurde das tiefer liegende Nachbarsgrundstück B von der verstorbenen X erworben. An ihre Stelle traten ihre Erben als Beschwerdegegner in den Prozess ein.
Zwischen den beiden Grundstücken A und B befindet sich eine Böschung. Zur Sicherung der zwecks Raumgewinnung auf dem höher gelegenen Grundstück A vorgenommenen Aufschüttung wurde eine Holzpalisadenwand erstellt. Im Verlaufe der Jahre verschob sich die entsprechende Wand weiter nach unten auf das Grundstück B. Die Beschwerdeführerin hat sodann an der Holzpalisadenwand provisorisch Schaltafeln angebracht.
Mittels erstinstanzlicher Klage wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, die provisorischen Schaltafeln zu entfernen und das Grundstück B mittels Böschung oder einer neuen Stützmauer entlang der Parzellengrenze zu sichern. Diesen Entscheid focht die Beschwerdeführerin beim Obergericht an, jedoch ohne Erfolg.
Nun gelang sie mittels Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Begehren, die Klage der Eigentümer des Grundstückes B sei abzuweisen.
Stehen Vorrichtungen zur Abgrenzung zweier Grundstücke, wie Mauern, Hecken, Zäune, auf der Grenze, so wird Miteigentum der beiden Nachbarn vermutet (Art. 670 ZGB). Diese Vermutung lässt sich grundsätzlich auf zwei Arten widerlegen: durch Rechtsgeschäft zwischen den Nachbarn (z.B. Bestellung eines Überbaurechts) oder durch Nachweis entgegenstehenden Ortsgebrauchs i.S.v. Art. 5 Abs. 2 ZGB (E. 3.3.2).
Nach Art. 686 Abs. 1 ZGB sind die Kantone befugt, die Abstände festzulegen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind. Ausserdem bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen (Abs. 2). Es handelt sich hierbei um einen echten Rechtsetzungsvorbehalt i.S.v. Art. 5 Abs. 1 ZGB (E. 3.4).
Gemäss Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern gilt eine Stützmauer, welche auf der Grenze steht, als Bestandteil des Grundstücks, dessen Eigentümer sie erstellt hat. Kann dies nicht festgestellt werden, so wird Miteigentum beider Nachbarn angenommen (E. 3.5.1).
Die Holzpalisadenwand wurde unbestrittenermassen vom Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin erstellt. Ob diese seinerzeit an oder auf die Grundstückgrenze gestellt worden ist, spielt mit Bezug auf die Frage, wer Eigentümer:in ist, keine Rolle. Falls die Wand auf die Grenze gebaut worden ist, wurde der Rechtsvorgänger gestützt auf Art. 79i EG ZGB des Kantons Bern Eigentümer (E. 4.2). Falls die Mauer lediglich an die Grenze gebaut worden ist, liegt sie ohnehin auf dem Grundstück A und somit im Eigentum der Beschwerdeführerin.
Schliesslich befasst sich das Bundesgericht mit der Frage, ob sich die Beschwerdeführerin betreffend Unterhaltspflicht auf Art. 741 Abs. 2 ZGB berufen kann. Das Bundesgericht verneint vorliegend die Anwendbarkeit, da die Bestimmung für Vorrichtungen, die zur Ausübung einer Dienstbarkeit gehören, gilt (E. 5).
Das Bundesgericht erachtete die Beschwerde in Zivilsachen als unzulässig und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden konnte.
Aus dem Bundeshaus: Investitionsschutz
Der Bundesrat hat am 10. Mai 2023 vom Vernehmlassungsergebins zu einem Investitionsprüfgesetz Kenntnis genommen (MM).
Die Vorlage geht auf die Motion 18.3021 Rieder «Schutz der Schweizer Wirtschaft durch Investitionskontrollen» zurück, welche den Bundesrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage für eine Investitionskontrolle ausländischer Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen zu schaffen.
Der Bundesrat hat die Motion zur Ablehnung empfohlen und sich auch bei der Eröffnung der Vernehmlassung weiterhin gegen die Einführung einer Investitionsprüfung ausgesprochen (Vgl. auch Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung).
Da der Vernehmlassungsentwurf nun insgesamt auf Ablehnung gestossen ist, hat der Bundesrat beschlossen, die Vorlage zu überarbeiten: Die Investitionsprüfung soll nur dann greifen, wenn ein ausländisch staatlich kontrollierter Investor ein inländisches Unternehmen übernimmt, das in einem besonders kritischen Bereich tätig ist, wie Rüstungsgüter, Stromnetze und -produktion oder Gesundheits- und Telekominfrastrukturen (MM). Der entsprechende Entwurf soll bis Ende 2023 vorliegen.
Für die strategischen Energieinfrastrukturanlagen sind die entsprechenden Arbeiten bereits fortgeschritten: Die parlamentarische Initiative 16.498 Badran «Unterstellung der strategischen Infrastrukturen der Energiewirtschaft unter die Lex Koller» verlangt, dass strategische Infrastrukturen der Energiewirtschaft dem Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland unterstellt werden (vgl. Bericht und Entwurf der Kommission). Das Geschäft wird spätestens in der Frühjahrssession 2024 im Nationalrat beraten.
Lex Koller: Rückforderungsanspruch nach Art. 26 BewG
Das Bundesgesetz über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland (BewG, Lex Koller) bezweckt, “die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern”. Dem Grundsatze nach müssen Personen im Ausland einen Grundstückerwerb bewilligen lassen (Art. 2 Abs. 1 BewG). Dies setzt voraus, dass ein Bewilligungsgrund (z.B. der Erwerb einer Ferienwohnung) vorliegt. Daneben kennt das Gesetz Ausnahmen, d.h. nicht bewilligungspflichtige Geschäfte, wie beispielsweise der Erwerb einer Betriebsstätte.
Was sind die Rechtsfolgen eines Grundstückerwerbes, welcher ohne die erforderliche Bewilligung erfolgte?
Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 4A_378/2022 vom 30. März 2023 mit folgendem Sachverhalt auseinandergesetzt:
Die Parteien schlossen einen “Darlehensvertrag” in der Höhe von CHF 1.8 Mio. zwecks Erwerbes eines Mehrfamilienhauses. Gemäss Vorinstanz war die Beschwerdegegnerin (Darlehensgeberin) im Zeitpunkt der Darlehensgewährung als ausländische Person im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. c BewG (ausländische Beherrschung) zu qualifizieren. Das Darlehen der Beschwerdegegnerin habe den Erwerb eines Mehrfamilienhauses durch die Beschwerdeführerin (Darlehensnehmerin) ermöglicht und komme aus Sicht der Beschwerdegegnerin einem dinglichen Erwerb der Liegenschaft gleich. Folglich sei der Erwerb mittels dieses Darlehens bewilligungspflichtig gewesen.
Das Bundesgericht hält fest, dass Rechtsgeschäfte über einen Grundstückserwerb nichtig werden, wenn der Erwerber das Rechtsgeschäft vollzieht, ohne um die Bewilligung nachzusuchen (Art. 26 Abs. 3 BewG). Die Nichtigkeit hat zur Folge, dass Leistungen innerhalb eines Jahres zurückgefordert werden können, seit der Kläger Kenntnis von seinem Rückforderungsanspruch hat (Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG). Die Rückforderung von Geldleistungen gemäss Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG erfolgt nach den Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung gemäss Art. 62 ff. OR. Vorliegend war der Darlehensvertrag nichtig und von Anfang an (ex tunc) unwirksam. Entsprechend lag bereits mit Auszahlung der Darlehenssumme an die Beschwerdeführerin ein fälliger Rückforderungsanspruch vor.
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Arbeitsrecht: Ferienentschädigung bei Vollzeitanstellung
Das Bundesgericht befasste sich mit Urteil 4A_357/2022 vom 30. Januar 2023 mit der Frage, inwiefern bei einer (Vollzeit-)Beschäftigung einer Arbeitnehmerin eine Ferienentschädigung zu entrichten ist.
Folgender Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde:
Die Arbeitnehmerin (Beschwerdegegnerin) war bei der Arbeitgeberin (Beschwerdeführerin) als Betriebsarbeiterin mit einem 100 %-Pensum im Stundenlohn angestellt. Im Arbeitsvertrag wurde eine Ferienentschädigung von 8.33 % bzw. 10. 64 % vereinbart. Aufgrund der Corona-Pandemie ordnete die Arbeitgeberin Zwangsferien an. In der Folge verlangte die Arbeitnehmerin unter anderem die Bezahlung einer Ferienentschädigung. Die gestellten Forderungen wurden von den Vorinstanzen gutgeheissen. Nun gelangt die Arbeitgeberin mittels Beschwerde an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides in Bezug auf die Ferienentschädigung.
Die Arbeitgeberin rügt eine Verletzung von Art. 329d Abs. 1 OR. Sie wirft der Vorinstanz vor, die Rechtsprechung nicht beachtet zu haben, welche eine Abweichung dieser Gesetzesnorm in gewissen Fällen rechtfertigt. Art. 329d Abs. 1 OR sieht vor, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Ferien vergüten sowie angemessen entschädigen muss. Gemäss Rechtsprechung bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer während seinen Ferien lohmässig nicht schlechter gestellt werden darf, wie wenn er gearbeitet hätte (BGE 136 III 283). Ferner ist es nicht zulässig, dass die Ferien während der Dauer des Arbeitsverhältnisses durch Geld oder andere Vergütungen abgegolten werden.
Dieses Verbot ist allerdings bei unregelmässigen Arbeitsverhältnissen schwierig umzusetzen, weswegen das Bundesgericht eine Abweichung des Gesetzestextes für spezifische Fälle zulässt. Die Voraussetzungen dafür sind: Eine unregelmässige Beschäftigung, eine klare Ausscheidung des für die Ferien bestimmten Lohnanteiles, wenn ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt und die explizite Ausweisung des bestimmten Lohnanteiles in den einzelnen Lohnabrechnungen (BGE 129 III 493). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss der Arbeitgeber den auf die Ferien entfallenden Lohn bezahlen. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer die ihm zustehenden Ferien tatsächlich bezogen hat, ändert daran nichts.
Die Arbeitgeberin ging vorliegend aufgrund von Schwankungen im Arbeitspensum der Arbeitnehmerin davon aus, es handle sich um eine unregelmässige Tätigkeit. Die Voraussetzung der Unregelmässigkeit wird allerdings vom Bundesgericht sehr eng umschrieben. Der Sinn von Art. 329d Abs. 1 OR ist, den Arbeitnehmer zu schützen und zu gewährleisten, dass er sich in den Ferien auch tatsächlich erholen kann. Aufgrund dieses Schutzgedankens wird eine Abweichung nur in seltenen Fällen angenommen. Das Bundesgericht hält in seinem Urteil ausdrücklich fest, dass bei einer 100 %-Anstellung beim gleichen Arbeitgeber eine Abweichung von Art. 329d Abs. 1 OR nicht gerechtfertigt ist.
Somit wurde die Beschwerde durch das Bundesgericht abgewiesen.
Grundstückerwerb durch Personen im Ausland
Das Bundesgesetz über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland (Bewilligungsgesetz, Lex Koller) regelt die Frage, unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen sog. Personen im Ausland Grundstücke in der Schweiz oder Beteiligungen an Gesellschaften, deren Zweck der Erwerb von Grundstücken ist, erwerben können.
Am 2. Andermatt Tourism Law Forum vom 9./10. März 2023 durften wir das Thema “Lex Koller und (ausländische) Investitionen” (mit)diskutieren.
Unsere Präsentation finden Sie hier.
Auf Bundesebene wird aktuell eine Anpassung des Bewilligungsgesetzes diskutiert: Künftig sollen Personalhäuser als Betriebsstätte behandelt werden (Motion 22.4413). Dies würde bedeuten, dass künftig der Erwerb von Personalhäusern auch Personen im Ausland ermöglicht würde. In Anbetracht der Knappheit des Wohnraums für Arbeitnehmer*innen in Tourismusgebieten ein berechtigtes Anliegen.
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