Herausgabeanspruch des Eigentümers

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Das Bundesgericht hat sich mit Urteil 5A_71/2022 vom 14. September 2022 mit dem Herausgabeanspruch gegenüber einem nicht gutgläubigen Käufer auseinandergesetzt.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Mit schriftlichem Vertrag vom 20. Januar 2006 schenkte C ihrer Nichte ein Carigiet-Bild. Das Bild befand sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Haus, das die Schenkerin bewohnte. Gemäss Vertrag behielt sich die Schenkerin die Nutzniessung am Gemälde vor, solange sie in diesem Haus wohnte.

Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 27. Januar 2006 verkaufte C ihr Haus ihrem Enkel und begründete gleichzeitig eine lebenslängliche Nutzniessung zugunsten der Verkäuferin. Ziff. IV.4 der weiteren Vertragsbestimmungen dieses Kaufvertrags lautete wie folgt: „Die Einrichtungsgegenstände sind Gegenstand des vorliegenden Kaufvertrags, soweit diese nicht durch Schenkungen und oder Vermächtnisse Drittpersonen zugewendet werden.“

Als C ins Altersheim zog, ersuchte die Nichte den Enkel, ihr das Carigiet-Bild als Eigentümerin herauszugeben. Da der Enkel diese Herausgabe verweigerte, klagte die Nichte gegen den Enkel auf Herausgabe des Bildes und obsiegte sowohl erst- als auch zweitinstanzlich. Der Enkel gelangte nun mit Beschwerde ans Bundesgericht.

Zur Übertragung des Fahrniseigentum bedarf es des Übergangs des Besitzes auf den Erwerber (Art. 714 Abs. 1 ZGB). Der Besitz wird übertragen durch die Übergabe der Sache selbst oder der Mittel, die dem Empfänger die Gewalt über die Sache verschaffen (Art. 922 Abs. 1 ZGB). Ohne Übergabe kann der Besitz einer Sache erworben werden, wenn ein Dritter oder der Veräusserer selbst aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses im Besitz der Sache verbleibt (Art. 924 Abs. 1 ZGB; Besitzeskonstitut). Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerb auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war (Art. 933 ZGB). Dies gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch dann, wenn der Erwerb des Eigentums mittels Besitzeskonstitut erfolgt.

Umstritten war vorliegend, ob der Enkel bezüglich der Verfügungsmacht von C über das streitbetroffene Bild gutgläubig war, als ihm am 27. Januar 2006 das Haus samt Einrichtungsgenstände verkauft wurde. Diesbezüglich gilt gemäss Art. 3 Abs. 1 ZGB die Vermutung des guten Glaubens. Diese Vermutung greift aber nur, wenn derjenige, der sich auf den guten Glauben beruft, den Nachweis dafür erbringt, den Umständen entsprechend aufmerksam gewesen zu sein (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Art. 3 Abs. 2 ZGB knüpft an die Umstände des Einzelfalls an und verlangt vom Gericht einen Billigkeitsentscheid (Art. 4 ZGB).

Das Bundesgericht gelangt in Bestätigung der Vorinstanz zum Schluss, dass Ziff. IV.4 des Grundstückkaufvertrags vom 27. Januar 2006 den Enkel hätte veranlassen müssen, sich bei C bzw. der Verkäuferin nach bereits erfolgten Verfügungen zu erkundigen. Wer wie der Enkel damit einverstanden sei, dass die Verkäuferin weiterhin frei über Einrichtungsgegenstände verfügen könne, dürfe allenfalls bereits erfolgte Verfügungen nicht einfach ignorieren. An dieser Erkundigungspflicht des Enkels ändere auch die besondere Nähe des Enkels zur Verkäuferin nichts.

Vorliegend habe der Enkel nicht behauptet, dass er solche Erkundigungen angestellt hätte und erst recht mache er nicht geltend, dass seine Grossmutter ihm nicht die Wahrheit gesagt hätte, wenn er sie nach bereits erfolgten Schenkungen und Vermächtnissen gefragt hätte. Im Ergebnis kann sich der Enkel laut Bundesgericht nicht auf seinen guten Glauben berufen, und zwar weder im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch später, als er das Haus tatsächlich in Besitz nahm. Entsprechend ist er auch nicht Eigentümer des Carigiet-Bildes geworden.

Im Ergebnis vermochte der Enkel dem Herausgabeanspruch der Nichte nichts entgegenzusetzen, weshalb das Bundesgericht die Beschwerde abwies.